URUGUAY: Namenlos - Transsexuelle wehren sich gegen Ignoranz

Von Cecilia Álvarez

(Berlin, 19. April 2011, npl).- Die Erfolge der Homosexuellenbewegung hinsichtlich der Anerkennung der Homo-Ehe können vielen Transgender-Aktivist_innen nur ein müdes Lächeln abringen. Während mittlerweile an höchster Stelle eine entsprechende Gesetzesinitiative diskutiert wird, erfahren Trans-Personen in ihrem Alltag immer wieder, wie es sich ohne Rechtssicherheit hinsichtlich grundlegender Lebensbedingungen wie Arbeit, Wohnen und Gesundheit lebt.

Heiraten steht nicht ganz oben auf der Agenda

Die Transgender-Gruppe KM 0 prangert dieses Missverhältnis an und fordert das Recht auf Namensänderung. Dieses wurde seitens der Bewegung für die Vielfalt seinerzeit als Errungenschaft gewertet, beinhaltete aber keine Möglichkeit der Personenstandsänderung.

Im Oktober 2009 wurde das Recht auf Identität und Namensänderung gesetzlich verankert. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes billigte das Parlament Trans-Personen und Transsexuellen das Recht zu, in ihrer Geburtsurkunde, ihrem Wahlausweis, ihrem Personalausweis und anderen Dokumenten Namensänderungen vornehmen zu lassen, um diese in Übereinstimmung mit ihrer neuen Identität zu aktualisieren.

Im Juni vergangenen Jahres verabschiedete die Regierung das Gesetz 18.620 und ordnete die Bildung einer Beratungskommission an. Sie soll im Zentralen Personenstands- und Zivilregister (Dirección del Registro de Estado Civil) eingesetzt werden, um jeden Fall innerhalb einer Frist von 150 Tagen einzeln zu untersuchen und die zuständigen Familienrichter_innen bezüglich der beantragten Namensänderung zu beraten. Die Kommission wurde jedoch bis heute nicht gegründet.

Politik verschleppt Personenstandsänderung

Die Transgender- und Transsexuellen-Gruppe KM 0 wurde letztes Jahr von den Aktivistinnen María Paz Gorostizaga (ehemals Ovejas Negras –Schwarze Schafe) und Josefina González gegründet. Anfang Mai organisierte die Initiative eine Kundgebung vor dem Zentralen Zivilregister und dem Ministerium für Bildung und Kultur MEC (Ministerio de Educación y Cultura), um das Recht auf den eigenen Namen einzufordern, das Trans-Personen derzeit komplett verwehrt werde, so González gegenüber la diaria.

Dass die Kommission auch zehn Monate nach dem Beschluss noch nicht existiere, sei sehr bedauerlich, so der Leiter des Ministeriums Pablo Álvarez. „Leider geht die Entwicklung nur schleppend voran“, erklärte er gegenüber la diaria. Ein Versuch, die Gruppe aus Mitarbeitenden des Gesundheitsministeriums zu gründen, sei bereits fehlgeschlagen; derzeit werde versucht, Mitarbeitende des Innenministeriums in die Bildung der Kommission einzubeziehen.

Diese soll aus einer Fachkraft aus der Sozialarbeit, einem Psychotherapeuten bzw. einer Psychotherapeutin sowie einer Psychologin bzw. einem Psychologen gebildet werden und unter Federführung von Innenminister Eduardo Bonomi arbeiten. Nach Ansicht von Gorostizaga und González ist das Innenministerium für die Verzögerungen verantwortlich. Während Álvarez verwaltungstechnische Probleme vermutet, ist González überzeugt, dass es dem Leiter des Zentralen Personenstands- und Zivilregisters, Adolfo Orellano, an politischem Willen mangelt.

Recht auf Identität verletzt

Nach Schätzung der Aktivistinnen hängen aufgrund der Verzögerung etwa 40 bis 50 Fälle in der Warteschleife. Die Antragsteller_innen müssen sich zunächst an die Familiengerichte wenden. Diese wiederum leiten den Antrag an die multidisziplinäre Kommission des Zivilregisters weiter. „Für uns ist das sehr unerfreulich, weil viele Bestimmungen wieder geändert wurden“, so Gorostizaga. Ursprünglich konnte man bereits mit 15 Jahren eine Namensänderung beantragen, die mit 18 Jahren endgültig wurde. Damit sollte der Schulalltag für jugendliche Transsexuelle erleichtert werden, denn so konnte verhindert werden, dass ein 15- oder 16jähriges Mädchen weiterhin mit Pedrito angeredet wurde. Letztendlich wurde beschlossen, dass eine Namensänderung erst mit 18 Jahren möglich ist. „Wir mussten viele Kompromisse eingehen, die sich jetzt sehr ungünstig auswirken“, beklagt Gorostizaga.

Wie Gorostizaga erklärt, entsteht durch die Verweigerung des Rechts auf Identität eine prekäre rechtliche Situation, weil der oder die Betreffende nicht über den entsprechenden Identitätsnachweis verfügt. Viele Bereiche des Lebens werden dadurch verkompliziert, darunter so alltägliche Dinge wie die Einweisung in ein Krankenhaus, der Schulbesuch oder die Arbeitsuche. Nach Schätzung der Aktivistinnen leben in Uruguay etwa 4.000 bis 5.000 Trans-Personen.

Lebenserwartung von 35 Jahren

Sie wohnen bevorzugt in den großen Städten Montevideo, Maldonado, Mercedes und Paysandú, und es ist davon auszugehen, dass etwa 99 Prozent von ihnen arbeitslos sind. „Die meisten Trans-Personen werden von ihren Familien verstoßen und sind gezwungen, ihren Lebensunterhalt mit Sexarbeit zu verdienen. Damit ist die Initialzündung für einen Domino-Effekt gegeben. Die üblichen Folgeerscheinungen sind häufig wechselnde Sexualpartner_innen, Drogenabhängigkeit und Krankheiten“, berichtet Gorostizaga. In Lateinamerika liegt die durchschnittliche Lebenserwartung von Trans-Personen bei 35 Jahren. Erst vor kurzem seien wieder drei Selbsttötungen registriert worden.

Sie wolle Trans-Personen keinesfalls zum Opfer stilisieren, so Gorostizaga. Es sei jedoch ein Fakt, dass „wir auf der gesellschaftlichen Skala ganz weit unten rangieren. Noch nie wurde für diesen Teil der Bevölkerung ein konkretes politisches Konzept entwickelt. Noch nie ist das Ministerium für soziale Entwicklung an uns herangetreten. Aus dem Entwicklungsprogramm Plan de Emergencia, das 2005 gestartet wurde, geht hervor, dass das Ministerium die Gruppe der „Männer, die keine Familie zu ernähren haben“ als die schutzbedürftigste Fraktion innerhalb der Trans-Community betrachtet“, erklärt Gorostizaga.

Regierungsbündnis hat Arbeitsgruppe gebildet

Sebastián Sabini, Mitglied der dem Bündnis Frente Amplio angeschlossenen Bewegung für die Mitbestimmung des Volkes MPP (Movimiento de Participación Popular) initiierte ein Treffen von KM 0-Aktivist_innen mit Andrés Scagliola, dem Leiter des Ministerialressorts Sozialpolitik, um derlei Themen zur Sprache zu bringen. Bei dem Treffen wurde die Bildung einer Arbeitsgruppe beschlossen, die „sich mit den speziellen Anliegen der transsexuellen Bevölkerung soll“, versicherte Scagliola gegenüber la diaria.

„Transsexuelle und ganz besonders weibliche, also Mann-zu-Frau-Transsexuelle, erleben eine extreme gesellschaftliche Ausgrenzung“, so Scagliola. Zwar lägen bisher nur spärliche Daten und wenig brauchbare Informationen über diese Bevölkerungsgruppe vor, es sei jedoch bekannt, dass zum einen eine unterdurchschnittliche Lebenserwartung und zum anderen die Alternativlosigkeit zur Sexarbeit als Broterwerb die beiden schwerwiegendsten Probleme darstellten.

Dringlichkeit wird ignoriert

Der Leiter des Ministeriums für soziale Entwicklung gab zu, dass bis jetzt noch kein sozialpolitisches Konzept entwickelt wurde, das in der Lage gewesen wäre, auf diese Situation adäquat zu reagieren, und mahnte: „Man darf nicht außer acht lassen, dass die Lebenssituation von Trans-Personen oft prekär und von extremer Ausgrenzung bestimmt ist.“

Die neue Arbeitsgruppe solle zunächst die bereits vom Ministerium für Soziale Entwicklung initiierten Programme untersuchen und ergänzende Mechanismen entwickeln, um Trans-Personen in die sozialpolitische Arbeit einzubeziehen. So werde überlegt, die „tarjeta alimentaria“, die ursprünglich die Versorgung sozial schwacher Familien mit Grundnahrungsmitteln und Hygieneartikeln sichern sollte, auch an Trans-Personen auszugeben und das Programm „Uruguay Trabaja“ das die staatliche Entlohnung sozialer Dienste vorsieht, auch für Trans-Personen zu öffnen. Während die beiden Aktivistinnen darauf hinwiesen, dass möglichst schnell etwas geschehen müsse, vertrat der Minister den Standpunkt, man stehe noch ganz am Anfang, daher sei Geduld angezeigt.

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Neue Wege gehen

Im vergangenen Jahr veranstaltete das staatliche Bildungsinstitut INEFOP (Instituto Nacional de Empleo y Formación Profesional) auf Initiative der Ovejas Negras und mit Unterstützung der holländischen Nichtregierungsorganisation (NRO) Mama Casheinen einen Kurs zur Herstellung handgefertigter Verpackungsmaterialien. Daran nahmen 22 Trans-Personen teil. Die Idee war, im Anschluss eine Kooperative zu gründen, die den Lebensunterhalt ihrer Mitglieder sichern könnte.

Tatsächlich entstanden nach dem Kurs gleich zwei Kooperativen, keine von beiden schaffte es jedoch, sich am Markt zu etablieren. Will man künftige Wiederholungsfehler vermeiden, gilt es herauszufinden, warum das Projekt gescheitert ist. Dieser Ansicht sind auch die beiden Minister Pablo Álvarez und Andrés Scagliola. „Die Idee hinter diesem Projekt gründet auf einer Notwendigkeit, die weiterhin besteht: Es geht um die Sicherung des Lebensunterhalts. Deshalb habe ich angeregt, die Ursachen für das Scheitern des Projekts zu untersuchen und die Ergebnisse in das nächste INEFOP-Programm einfließen zu lassen“, so Álvarez.

Eine weitere Forderung der Gruppe KM 0 betrifft die Wiedereinsetzung der Kommission gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und alle Arten von Diskriminierung, die dem Ressort Menschenrechte des Ministeriums für Bildung und Kultur MEC angeschlossen ist. Eine der Hauptaufgaben der Kommission ist die Bearbeitung von Beschwerden wegen Diskriminierung, die bei der Menschenrechtsstelle eingehen. Auch Álvarez zeigte sich unzufrieden mit der Tatsache, dass die Kommission derzeit nicht im Einsatz ist. „Wir wissen, dass es diese Fälle gibt, und um die Beschwerden bearbeiten zu können, brauchen wir eine entsprechende behördliche Struktur.“

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Auf den Punkt gebracht. Zwei Trans-Aktivistinnen beziehen Stellung

Angesichts der prekären Lebenssituation von Trans-Personen erscheint die Forderung nach Legalisierung der Homo-Ehe den beiden KM 0-Aktivistinnen María Paz Gorostizaga y Josefina González geradezu lachhaft.

Wie findet ihr die Initiative für die Legalisierung der Homo-Ehe?

Josefina González: Aus unserer Sicht: absurd. Eine Verhöhnung unserer Situation. Wir wissen, wie hart und schwierig das Leben für Trans-Personen ist. Viele nagen buchstäblich am Hungertuch, sind arbeitslos, und dagegen wird praktisch nichts unternommen. Es gibt elementarere Dinge als heiraten.

María Paz Gorostizaga: Zumindest heute und in diesem Land. Frag mich in zehn Jahren noch mal, wenn wir alles erreicht haben und wir alle gleichberechtigte Bürger_innen sind. Dann denke ich da vielleicht anders drüber…

Ihr seid also nicht wirklich dagegen, sondern ihr meint einfach, dass es wichtigere Dinge gibt als zu heiraten?

Josefina González: Wir finden es richtig, gleiches Recht für alle zu fordern, aber es geht uns trotzdem um Prioritäten. Wir sind also nicht dagegen, aber wir finden, dass die Prioritäten anders gesetzt werden müssten.

María Paz Gorostizaga: Hier zeigt sich, dass Trans-Personen einfach komplett ignoriert werden: Wir werden einfach nicht wahrgenommen: weder von der Gesetzgebung noch vom Staat. Nicht einmal von den sozialen Verbänden!

Josefina González: Nicht nur, dass uns unsere Grundrechte verletzt werden: das Recht auf Arbeit, Wohnung, Bildung und unser Namensrecht. Selbst innerhalb unserer eigenen Community wird so getan, als gäbe es uns nicht.

María Paz Gorostizaga: Bis jetzt haben wir uns still verhalten, weil der Zusammenhalt innerhalb der Community wichtig ist.

Josefina González: Ich würde gern mal zusammen mit den Abgeordneten über den Straßenstrich schlendern, um zu gucken, wie viele unserer Freundinnen, die dort arbeiten, wohl aktuell ans Heiraten denken.

María Paz Gorostizaga: Und dann, wie viele von den Schwulen wohl vorhaben zu heiraten. Das ist es nämlich: Viele Schwule haben nämlich genau solche romantischen Phantasien.

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[Der Artikel erschien am 19. April 2011 unter dem Titel „No tiene nombre“ in der uruguayischen Tageszeitung la diaria]


Quelle: Poonal Nr. 956

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