»Europa hat die Menschenrechte vergessen«

Interview mit dem honduranischen Ex-Präsidenten Manuel Zelaya

Kathrin Zeiske und Øle Schmidt

 

Herr Zelaya, wenige Monate nach der Rückkehr aus dem Exil bereiten Sie die Teilnahme Ihrer neuen Partei LIBRE an den Wahlen 2013 vor. Mit der Erfahrung des Putsches: Rechnen Sie ernsthaft damit, dass ein Sieg der Opposition an den Urnen anerkannt würde?

Die neue Demokratiebewegung ist mit 30.000 Sektionen in jedem Ort, in jedem Viertel des Landes präsent. Ein Wahlbetrug ist ausgeschlossen. Diejenigen, die den Putsch verantworten, haben ihre Lektion gelernt, so wie auch wir. Erstens, dass der Rückhalt der internationalen Gemeinschaft nicht nachhaltig ist. Der Wille, eine Demokratie aufrecht zu erhalten, verschwindet schnell zugunsten von Handelsinteressen. Zweitens: Die Menschen wollen keine Waffen und keine Gewalt, sie verlangen Demokratie. Das Volk von Honduras trägt viel Kraft in seinem Herzen. Und wenn es freie Wahlen gibt, dann werden wir diese gewinnen.

Die honduranische Verfassung verbietet, dass Sie erneut für das Präsidentenamt kandidieren. Wer soll Ihre Politik fortführen?

Meine Ehefrau hat den Putschisten auf der Straße die Stirn geboten. Sie ist die Frau mit der größten Popularität im Land. Als ich meine Macht und mein Geld verlor, dachte ich, dass auch sie mich verlassen würde. Aber sie hat demonstriert, um mich und die Demokratie zu verteidigen. Deshalb arbeiten wir jetzt gemeinsam mit der Demokratiebewegung daran, eine neue politische Partei einzuschreiben.

Die Organisation Amerikanischer Staaten hat Honduras mehr als zwei Jahre nach dem Putsch wieder aufgenommen. Wie schätzen Sie die Situation in Ihrem Heimatland ein?

Noch immer dominieren Repression und Gewalt, es herrscht ein Klima der Angst. Seit meiner Rückkehr sind vier Menschen ermordet worden, die mir nahe standen. Viele Angehörige der Demokratiebewegung leiden unter politischer und juristischer Verfolgung. Wir haben deshalb um die Anwesenheit eines Menschenrechtskommissars der Vereinten Nationen gebeten. Von nationaler Versöhnung, wie sie die Regierung propagiert, kann keine Rede sein. Es ist bitter, aber wir stellen derzeit die Toten, damit Honduras vorankommen kann.

Fast täglich gibt es neue Meldungen über politische Morde und verschwundene Oppositionelle; die Regierung setzt im Bajo Aguan 600 Elitesoldaten, die im vorher im Irak stationiert waren, gegen Bauern ein. Hat das Abkommen von Cartagena Bestand, das neben Ihrer Rückkehr auch Versöhnung in Honduras versprach?

Präsident Lobo hat gute Absichten bewiesen, doch er besitzt nicht die Macht im Land. Die meisten der

staatlichen Institutionen sind noch immer in Hand derer, die den Putsch durchgeführt haben. Und diese Gruppen verfolgen uns weiter. Sie haben die Waffen und die Macht ­– sowie die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.

Von welchen Gruppen sprechen Sie, wer übt tatsächlich die Macht in Honduras aus?

Es gibt etwa sechs Familien aus der Elite, die die Staatsmacht an sich gerissen haben, wirtschaftlich und militärisch. Sie sind eng verknüpft mit großen, transnationalen Konzernen aus den USA und aus Europa, übrigens mit besten Kontakten in die dortige Politik. Angesichts der Machtfülle dieser Familien ist der honduranische Präsident in einer sehr schwachen Position.

Diese Erkenntnis haben Sie jetzt?

Nein, schon während meiner Präsidentschaft wurde mir klar, dass es Gruppen gibt, die über dem Staat stehen. Sie dominieren die Wirtschaft, die Außenpolitik und die internationale Zusammenarbeit, selbst die Medien. So lange diese Gruppen auf diesem Niveau agiert haben, habe ich ihre Existenz als Konkurrenz angesehen, als sie den Staat mit Waffen überfielen, ist der soziale Pakt zerbrochen.

Zur Mitte Ihrer Amtszeit haben Sie sich Hugo Chávez zugewandt und sind dem von Venezuela initiierten Wirtschaftsbund ALBA beigetreten. Was hat diesen politischen Bruch ausgelöst?

Es gab keinen Bruch. Ich habe immer für die Einheit Lateinamerikas gekämpft, für Entwicklung und Gerechtigkeit. Mein Projekt war, Honduras in die Unabhängigkeit zu führen. Deshalb habe ich die Kooperation mit unterschiedlichsten Staaten wie Chile, Argentinien und Venezuela gesucht, aber auch mit den USA. Washington hat verlangt, dass ich mich gegen Chávez stelle. Doch Chávez hat uns in einem Jahr mehr Hilfe für Bildungs-, Gesundheits- und Energieprojekte angeboten, als die USA in zehn Jahren. Diese Zusammenarbeit war im Interesse meines Landes.

Sie sind Großgrundbesitzer und stammen aus der honduranischen Elite. Als Präsident der liberalen Partei haben Sie sich von der Oligarchie abgewandt, und den politischen Diskurs mit sozialen Bewegungen gesucht. Warum?

Vielleicht habe ich Honduras verändert, aber ich bin stets der Gleiche geblieben. Ich komme aus einer sehr wohlhabenden Familie, doch bei meiner christlichen Erziehung und meiner wirtschaftlichen Ausbildung stand immer die Gleichheit der Menschen im Mittelpunkt. Der Reichtum sollte denen gehören, die ihn erschaffen, der Bevölkerungsmehrheit, nicht denen, die Wertpapiere darüber besitzen. Diese Werte haben mich veranlasst, eine gerechtere Entwicklung anzustoßen.

Sie sehen keinen Wandel in Ihrer Politik?

Nein, aber viele haben offensichtlich erwartet, dass ein Unternehmer auch als Präsident weiterhin Geschäfte macht. Ich aber habe mich auf mein politisches Amt konzentriert. Weil Honduras wirtschaftlich vollkommen vom Dollar abhängig war, habe unsere Wirtschaft für Brasilien geöffnet, für Venezuela und Kuba. Innerhalb dieser solidarischen Wirtschaftsform haben wir kein Geld erhalten, stattdessen aber Lehrer und Ärzte – sowie die Idee der lateinamerikanischen Solidarität. Vielleicht wäre es besser zu fragen, warum ich mich den Sektoren der Macht widersetzt habe, vor allem dem Botschafter der USA. Dieser war es gewohnt, Befehle zu erteilen, wie in den römischen Provinzen.

Am 28. Juni 2009 wurde der Präsident Manuel Zelaya von Militärs entführt und außer Landes gebracht. Wie haben Sie den Tag des Putsches als Mensch erlebt?

Um fünf Uhr morgens standen Soldaten vor der Tür dieses Haus und begannen zu schießen. Sie brachen die Türen auf und überwältigten mein Sicherheitspersonal. Als ich im Schlafanzug auf den Innenhof kam,

zerrten sie mich in einen Wagen. Das alles geschah innerhalb weniger Minuten. Um uns einzuschüchtern, schossen die Soldaten die ganze Zeit. Draußen können Sie noch die Einschusslöcher sehen. Nur ich und eine unserer Töchter waren in dem Haus. Sie hat sich unter ihrem Bett versteckt, mich haben sie zur Militärbasis Palmerola gefahren.

Zu der Militärbasis der US-Armee?

Ja. In etwa 20 Minuten unterzeichneten die Putschisten dort die Papiere, befüllten die Tanks eines Flugzeugs, und starteten Richtung Süden. General Romeo Vazquez, der oberste Heereschef von Honduras, sagte mir, der Befehl habe gelautet, mich bei der Gefangennahme zu erschießen. Weil sie diesen Befehl verweigerten, würden sie mich nun nach Costa Rica ausfliegen. Ich frage mich, wer einen solchen Befehl an den Obersten Heereschef gibt, wenn nicht der Präsident?

Wie hat diese Erfahrung Sie verändert?

Das Leben, das ich gelebt hatte, endete mit dem Putsch auf eine absurde Weise – im Schlafanzug auf einer Landepiste in Costa Rica. Ich war immer ein Ehrenmann, hatte nie ein Gerichtsverfahren anhängig, trotz vieler politischer Querelen. Und plötzlich finde ich mich im Exil wieder, werde wegen Korruption und

Drogenhandels strafrechtlich verfolgt, des Landesverrats bezichtigt. Der britische Philosoph Thomas Hobbes sagte einmal: »Der Mensch ist des Menschen Wolf«. Wenn der Mensch sich in Widersprüche verwickelt, und andere Machtgruppen auf den Plan treten, dann bricht er den sozialen Pakt.

Welche Ziele Ihrer Politik haben Oligarchie und Militär veranlasst, den sozialen Pakt zu brechen und gegen Sie zu putschen?

Die Machtgruppen in Honduras genießen üppige Privilegien. Sie zahlen keine Steuern, verfügen über private Monopole, besitzen Pachtverträge für Ländereien über mehr als 100 Jahre, viele sitzen auf hoch dotierten Beamtenposten. Ich wollte all das überprüfen lassen, mit dem Ziel, die Entwicklung des Landes voranzutreiben. Doch die honduranische Elite hatte Angst davor, das eigene Volk an der Macht teilhaben zu lassen, sie hat Angst vor mehr Demokratie.

Sehen Sie auch außerhalb von Honduras Urheber des Putsches? Zumindest war die US-Armee informiert, und hat Ihrem rechtswidrigen Ausflug von ihrer Militärbasis zugestimmt.

Die Frage der politischen Hegemonie in Lateinamerika ist der wohl entscheidende Grund für den Putsch gewesen. Die USA glauben, dass die Freunde ihrer Feinde automatisch auch ihre Feinde sein müssen. Ein irrige Annahme, denn ich habe Hugo Chávez lediglich als strategischen Verbündeten gesucht, Venezuela sollte Honduras mit Erdöl aushelfen. Ich glaube weder, dass Barack Obama noch der diplomatische Korps in den Putsch verwickelt gewesen sind. Definitiv aber einflussreiche, rechte Machgruppen in den USA.

Nach Ihrer ersten Rückkehr nach Honduras sind Sie in die Brasilianische Botschaft geflüchtet, was ist dort passiert?

Die Militärs haben uns Lebensmittel und Medikamente verweigert. Nachts strahlten sie mit Scheinwerfern in die Fenster der Botschaft und spielten die Musik Wagners in ohrenbetäubender Lautstärke, damit wir nicht schlafen konnten. Sie wollten uns zwingen, die Botschaft zu verlassen. Zunächst mit dem Einsatz von Beschallungsgeräten, die ein so furchtbar hohes Summen erzeugten, dass wir dachten, es zerfetzt uns das Gehirn.

Das ist Folter...

Ja. Aber wenn wir die Botschaft verlassen hätten, hätten uns die Soldaten erschossen. Diese Drohung sprachen sie täglich in den Medien aus. Ein anderes Mal haben sie Giftgas eingesetzt. Uns ist das

Blut aus der Nase geflossen, wir torkelten wie Schwindsüchtige. Meine Familie hat sehr gelitten, meine Frau war die ganzen vier Monate bei mir. Gerettet haben uns der brasilianische Präsident Lula und die anderen lateinamerikanischen Länder, die zusammenstanden. Aber es war eine unglaublich harte Zeit.

Anschließend war ich für 17 Monate in der Dominikanischen Republik. Das Exil ist etwas Furchtbares. Ohne Vaterland und ohne Ehre leben zu müssen, zieht einem den Boden unter den Füßen weg.

Internationale Menschenrechtsorganisationen beklagen mehr als zweihundert politische Morde seit dem Putsch, auch unter der aktuellen Regierung Lobo. Wer sind die Urheber?

Verantwortlich sind paramilitärische Verbände, die von wirtschaftlich starken Gruppen gelenkt werden, die über dem Staat stehen. In Honduras herrscht Straffreiheit in Bezug auf die Verschwundenen, die Gefolterten und die Toten der Massaker. Es existiert keine Strafe für diese Art von Verbrechen. Während meine ehemaligen Minister juristisch verfolgt werden, genießen die Putschisten weiterhin Schutz.

Wem nützen diese Morde, wer profitiert von dem Klima der Angst und Bedrohung?

Es gibt einen makaberen Plan, dieses Land zu beherrschen. Dabei gilt eine einfache Gleichung: wer aus den Verbrechen Nutzen zieht, muss Drahtzieher dieser Verbrechen sein. Transnationale Unternehmen aus den USA und aus Europa ziehen Nutzen aus dem Putsch der Gewalt, sie sind die intellektuellen Autoren dieses Planes.

Dieses Jahr soll das Assoziierungsabkommen zwischen Zentralamerika und Europa ratifiziert werden. Wie bewerten Sie, dass die EU eigens dafür den umstrittenen Präsidenten Lobo anerkannt hat?

Europa hat die Menschenrechte vergessen, die Demokratie war ihnen nicht viel wert, als es darum ging, Handelsverträge zu unterzeichnen. Zuerst das Geld, dann die Menschenrechte. Die abgeschlossenen Freihandelsverträge sind fatal für uns, Europa und die USA subventionieren ihre Landwirtschaft und zwingen so die Bauern Lateinamerikas und Afrikas in die Knie. Sie nötigen uns, Steuerschranken fallen zu lassen und Konzessionen zu vergeben. So bleiben wir für immer eine Kolonie.

Die Europäische Union unterstützt mit 44 Millionen Euro aus dem so genannten PASS-Programm die Reform des Justizsystems in Honduras. Warum kritisieren Sie das Programm?

Die bürgerliche Gesetzgebung in Honduras existiert, um das Privateigentum zu schützen, nicht etwa die Demokratie. Deswegen halte ich es für unverzichtbar, dass der Staat – auch mit internationaler Hilfe –grundsätzlich demokratisiert wird und nicht weiter für die Elite ausgebaut wird, wie dieses Programm es letztlich tut.

Herr Zelaya, was wünschen Sie sich von Deutschland und von Europa?

Europa ist die Wiege der Demokratie, ich erhoffe mir, dass die dortigen Regierungen die Menschenrechte auch im Rest der Welt nachhaltig stärken. Im Diskurs verteidigen sie die Menschenrechte, doch faktisch stehen Außenhandel und Ressourcensicherung oftmals an erster Stelle.

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