Honduras: Zwei Kugeln und acht Haftbefehle

Bericht Nr. 12 der Journalist_innendelegation, die sich im Moment mit Unterstützung des Ökumenischen Büros in Honduras befindet

Freitag, 27. Juli, La Esperanza. Kurz nach sechs Uhr morgens steht der Geländewagen der Menschenrechtsorganisation COPINH vor der Einfahrt, es geht in Richtung El Progreso, wo Melissa Cardoso nachmittags ihr neues Buch präsentiert. Schlaftrunken schlichten wir uns zu siebt in das Gefährt; warum es so früh los geht, weiß noch keiner genau. Auf halber Wegstrecke wird ein Treffpunkt mit „Chefin" Berta Cáceres vereinbart und es klärt sich, was via Telefon nicht preisgegeben werden wollte:
Am Programm steht ein Zwischenstopp in der indigenen Lenca-Gemeinde La Cuchilla im Departement Sta. Barbara. Der Ort präsentiert sich als Landschaft - Maisfelder wölben sich über die sanfte Bergkuppen, die ineinander verwoben bis zum Horizont reichen. In das Idyll hat sich allerdings Angst und Bedrohung eingeschlichen: vier Personen reklamieren seit einiger Zeit das gesamte Territorium, das bislang rund 80 Familien bewirtschaftet haben, für sich allein. Sie drohen den anderen mit Räumung und dass sie schon bald etliche Dutzend Rinder eines Drogenbarons auf ihre Maisfelder treiben würden.

Wir stoppen für ein dringendes Beratungstreffen in der indigenen Gemeinde La Cuchilla. (C) NK              

Für das Beratungstreffen wandern wir mit der COPINH-Delegation auf einem schmalen Grat hinab zu einem Canyon. Dort haben sich bereits ein Dutzend der bedrohten Campesinons eingefunden, die Berta und ihrem Team die Problematik schildern.


Berta Cáceres hört zu, berät dann die hiesigen Bauern und Bäuerinnen in Rechtsfragen und spricht ihnen Mut zu. (C) NK


Vor COPINHs Ankunft hat sich die Situation zugespitzt, die Leute sind verunsichert, weil sich nun das Bürgermeisteramt eingemischt hat und einen Deal vorgeschlagen hat: würden die Bauern unterzeichnen, dass die Gemeinde das Land kauft, würde diese ihnen das Land zur Verfügung stellen. Nachmittags, so erzählen die Betroffenen, würden zwei Lastwagen die Leute abholen, damit diese auf der Gemeinde ihre Einwilligung zu bestätigen. Wer sich weigere, müsse mit Konsequenzen rechnen.

Ein hagerer Mann mit hellen Augen zeigt uns seine Wunde nahe der Wirbelsäule - einer der Männer, die das Land für sich beanspruchen hat vor zwei Monaten auf ihn geschossen, weil er ihm auf dem Feld zugerufen hatte, dass er keinen legalen Recht auf das Territorium hätte: „Das konnte der nicht vertragen und hat auf mich geschossen." Die zwei Kugeln sind rausoperiert, die Wunde schmerzt allerdings noch, vor allem bei Neumond und bei der Arbeit auf den steilen Hängen.

Gegen acht der AnführerInnen der Gemeinde wurde Haftbefehl wegen „illegaler Landbesetzung" ausgestellt. Sie sind zwar auf freiem Fuß, müssen aber täglich bei der lokalen Außenstelle der Staatsanwaltschaft im nächsten größeren Ort vorsprechen und unterschreiben (bzw. ihren Fingerabdruck hinterlassen). Die Drohung mit Gefängnis ist permanent, die Kriminalisierung von Unschuldigen Alltagspolitik.

Die Bäuerinnen und Bauern von La Cuchilla wollen sich nicht bedrohen und von ihrem Land vertreiben lassen. (C) NK



Nachdem Berta weitere Fragen zur Sachlage gestellt hat, klärt sie die Bauern bezüglich ihrer Rechte auf und beharrt darauf, dass diese sich auf keinen Deal mit dem Bürgermeisteramt einlassen sollten. Sie könnten sich auf ihre Ansprüche als indigene Gemeinde berufen könnten, da ihre Vorfahren schon auf dem Land gewohnt hätten. Es gebe also ein Anrecht auf einen kommunitären Landtitel , Verhandlungspartner dafür sei ausschließlich das staatliche Agrarinstitut INA, nicht aber das Bürgermeisteramt.

Bestärkt und bereit, trotz Drohungen die angekündigten Lastwagen wieder leer zum Bürgermeisteramt zurückkehren zu lassen, verabschieden sich die betroffenen Bewohner. Berta und die Compas von COPINH haben derweilen auch Sicherheitsmaßnahmen für die Gemeinde „La Cuchilla" in die Wege geleitet. Niemand soll im Stich gelassen werden. Das Team hat den Verdacht, dass es hier nicht nur um eine (Agrar-)Landfrage gehen könnte, sondern möglicherweise um andere, private Interessen. In der Umgebung sind schließlich schon etliche Minenkonzessionen vergeben worden, u.a. für Goldtagebau.

Die Folgen von Goldminen erfahren wir nur wenige Kilomter enfernt: Einige Bäche und Flüsse aus den Tälern der Gegend münden in das größte Binnengewässer von Honduras, den Yojoasee. Als wir nach unserem Besuch in La Chuchilla in einem der kleinen Restaurants am Ufer einen leckeren gegrillten Buntbarsch verspeisen, erfahren wir, dass der See wegen der hier angesiedelten Goldminen mittlerweile mit Schwermetallen verseucht ist. Unser Abendessen stammt also nicht von einem hiesigen Fischer, sondern wurde mit einem Tiefkühl-LKW herbeigeschafft - damit die zahlreichen Lokalbesitzer weiterhin ihre Betriebe aufrecht erhalten und überleben können.

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