Honduras: Oberstes Gericht annuliert Prozess gegen die Umweltschützer aus Guapinol

Nach dem Urteil: Die Verurteilten nutzen den Weg aus dem Gerichtssaal für eine rasche Umarmung mit ihren Familienangehörigen
Nach dem Urteil: Die Verurteilten nutzen den Weg aus dem Gerichtssaal für eine rasche Umarmung mit ihren Familienangehörigen
Foto: #GuapinolInocente

Verteidiger:innen fordern sofortige Freilassung, Entschädigung sowie Ermittlungen gegen das Bergbauunternehmen Inversiones Los Pinares

(oeku-buero 11.2.2022) Einen Tag nach der Verurteilung von sechs Verteidigern der Flüsse Guapinol und San Pedro kam eine überraschende Wendung: Die Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs entschied plötzlich, den Prozess gegen sie und damit auch das Urteil für null und nichtig zu erklären. Zwei Jahre lang waren Anträge der Verteidiger:innen der Umweltschützer beim Obersten Gerichtshof wegen willkürlicher Verhaftung und der Verletzung elementarer Rechte der Beschuldigten in einer Schublade gelegen. Nun bekamen sie binnen Stunden plötzlich Recht. Gemeinsam mit dem UN-Hochkommisariat für Menschenrechte verlangen die Anwält:innen nun die sofortige Freilassung der sechs Gefangenen.

Ein Strafgericht der Provinzstadt Tocoa hatte die sechs Umweltschützer am 9.Februar der Freiheitsberaubung gegen den Sicherheitschef des Unternehmens Inversiones Los Pinares, der Sachbeschädigung und schweren Brandstiftung für schuldig erklärt. Zwei Männer wurden freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte 36 Jahre Haft für alle Angeklagten beantragt.

Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft beruhte einseitig auf widersprüchlichen Zeugenaussagen. Die Zeugen vertraten zudem ausschließlich eigene Interessen als vermeintlich Hauptgeschädigte sowie Interessen der Nebenklage, das heißt des Bergbauunternehmens Inversiones Los Pinares. Die Leiterin des Hochkommissariates für Menschenrechte in Honduras sagte bei einem internationalen Forum am 8. Februar, die Argumente der Staatsanwaltschaft seien unvereinbar mit internationalen Standards der Beweiswürdigung, zeigten mangelnde Objektivität und stigmatisierten die Angeklagten, die seit 29 bzw. 38 Monaten in U-Haft saßen.

Das Gericht schloss sich gegen das Votum von Richter Franklin Marvin Arauz Santos dennoch dem Vortrag der Staatsanwaltschaft an. Amnesty International bezeichnete das Urteil als „empörend“.

Die UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte Mary Lawlor zeigte sich laut einem Bericht des Guardian „entsetzt“.

Verteidiger Edy Tabora betonte in einem Livestream vor dem Gerichtsgebäude: „Die Verurteilten sind unschuldig. Es wurde weder die Existenz der Delikte selbst, noch irgendeine Art von Teilnahme der Verurteilten nachgewiesen. Das Urteil zeigt, dass die Justiz durch Unternehmen kooptiert ist. Es ist ein politisches Urteil, das einzig auf den ökonomischen Interessen des Unternehmens Inversiones Los Pinares beruht.“

Inversiones Los Pinares war Nebenkläger im Prozess. Das Unternehmen, das zur Gruppe NE Holdings/EMCO gehört und Geschäftspartner des Münchner Flughafen ist, betreibt in einem Wasserschutzgebiet im Nationalpark Carlos Escaleras zwei Eisenerztagebaue, deren Lizenzen und Genehmigungen unter dubiosen Umständen erteilt wurden. Die betroffenen Gemeinden hatten sich zunächst juristisch und schließlich mit einem Protestcamp gegen die Umweltschäden und die Verseuchung ihres Trinkwassers zur Wehr gesetzt.

Am 7.September 2018 rückten Arbeiter des Unternehmens und Sicherheitskräfte gegen das Camp vor. Ein 17-Jähriger wurde, so die Mitglieder des Protestcamps, von einem Sicherheitsmann des Unternehmens in den Rücken geschossen und schwer verletzt. Ein Auto und zwei Baucontainer brannten, der Vorgesetzte des Schützen musste vor Ort auf die Polizei warten. Darauf folgte die Räumung des Camps und eine Serie von Anzeigen und Klagen. Die nun verurteilten Umweltaktivisten stellten sich als sie hörten, dass Haftbefehle gegen sie ausgestellt wurden, freiwillig der Justiz.

Die UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Verhaftungen erklärte ihre Inhaftierung im November 2020 als illegal und den forderte den honduranischen Staat auf, die acht Männer sofort freizulassen und für das erlittene Unrecht zu entschädigen

Sofort nach dem Urteil vom 9. Februar hatten die sechs Umweltaktivisten, die sich als politische Gefangene sehen und von Amnesty International als Gewissensgefangene anerkannt wurden, beschlossen einen Antrag auf Amnestie zu stellen. Die seit 27. Januar amtierende Mitte-Links-Regierung von Xiomara Castro hatte vor wenigen Tagen ein Amnestie-Dekret verabschiedet und am 4.Februar im Amtsblatt veröffentlicht, das kriminalisierten Mitgliedern sozialer Bewegungen, die von ihrem legitimen Recht auf Protest Gebrauch machten, Amnestie gewährt. Dieser Antrag wurde mit dem unerwarteten Urteil der Verfassungskammer nun hinfällig.

Bewohner:innen aus den betroffenen Gemeinden, die über drei Wochen lang vor dem Gerichtsgebäude protestierten und permanenter Diffamierung und Bedrohung ausgesetzt sind, betonten, dass sie in ihrem Engagement nicht nachlassen werden, bis das Unternehmen Inversiones Las Pinares seine irregulären Tagebaue im Wassereinzugsgebiet des Nationalparks Montaña de Botaderos Carlos Escaleros aufgeben müsse. Das Komitee für die Verteidigung der Gemeingüter aus Tocoa fordert zudem Ermittlungen gegen die Urheber:innen der Kriminalisierung der Umweltschützer aus Guapinol und Sector San Pedro.

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