Ausverkauf in Honduras?

Von Nina Kreuzinger und Andrea Lammers/ Wiener Zeitung

La Cuchilla. Maisfelder schmiegen sich an sanfte Bergkuppen, die ineinander verwoben bis zum Horizont reichen, im Tal ein paar dunkelgrüne Bäume, ein tief eingegrabener Fluss: La Cuchilla, im Hochland von Honduras. Friedlich döst die Landschaft in der Vormittagssonne, einzig eine bunte Prozession pilgert auf einem schmalen Grat zwischen den Ackerpflanzen hinab in einen Canyon. Berta Cáceres, Koordinatorin der indigenen Menschenrechtsorganisation COPINH (Consejo Cívico de Organizaciones Populares e Indígenas de Honduras - Ziviler Rat der sozialen und indigenen Organisationen von Honduras), ist mit ihrem Team auf dem Weg zu einem Treffen mit den ansässigen Bauern: Ausgezehrt und mit verschlissenen Hemden und Hosen bekleidet, finden sich diese zwischen den großen Steinen des Flussbettes ein; ein paar haben altertümliche Sicheln dabei.

Aktivistin Cacéres klärt Bauern in La Cuchilla über ihre Landrechte auf. Aktivistin Cacéres klärt Bauern in La Cuchilla über ihre Landrechte auf.N. Kreuzinger

Etwa 80 Familien, die hier seit Generationen leben, haben keine ruhige Minute mehr. Vier Männer reklamieren seit einiger Zeit das für die Bauern lebensnotwendige Land für sich. "Sie drohen mit Räumung und dass sie die Rinderherde eines Drogenbosses auf unsere Maisfelder treiben", sagt ein hagerer Mann mit hellen Augen und zeigt eine Wunde nahe der Wirbelsäule - einer der Eindringlinge hätte vor zwei Monaten auf ihn geschossen. Die beiden Kugeln sind entfernt, die Wunde schmerzt aber noch; vor allem bei Neumond und bei der Arbeit auf den steilen Hängen.

Strategie der Einschüchterung
Auch das Bürgermeisteramt hat sich nun in den Landkonflikt eingemischt: Wenn die Bauern unterzeichnen, dass die Gemeinde das Land kauft, würde diese ihnen das Land zur Verfügung stellen. Nachmittags, haben die Beamten angekündigt, werden zwei Lastwagen die Leute abholen, damit sie auf der Gemeinde ihre Einwilligung zu bestätigen. Wer sich weigere, müsse mit Konsequenzen rechnen. COPINH-Frontfrau Berta Cáceres klärt die Betroffenen über ihre Landrechte auf und empfiehlt, sich auf gar keinen Deal einzulassen. Sie hat den Verdacht, dass es um weit mehr als den Besitz von ein paar Maisfeldern geht: In der Umgebung sind etliche Minenkonzessionen - hauptsächlich für den Goldtagebau - vergeben worden.

Die Regierung bewirbt Honduras weltweit mit dem Solgan "Honduras open for business" als Investitionsparadies: Über ein Drittel des Landes soll an private Konzessionäre verkauft werden. Diese bekommen so freie Hand für ihre gewinnbringenden Projekte in Gebirgswäldern oder an karibischen Traumstränden. 75 neue Lizenzen wurden allein in der Grenzregion zu El Salvador für Wasserkraftwerke vergeben. Wo der Baubeginn bereits bevorsteht, gibt es oft Tote: Erst kürzlich wurde ein 25-jähriger COPINH-Aktivist, der sich gegen den Bau eines großen Kraftwerks eingesetzt hatte, neben seinem Elternhaus erschossen - angeblich von Angehörigen der Nationalpolizei.

23 Millionen aus Österreich
Auch Österreich ist schon in das Geschäft zwischen Pazifik- und Atlantikküste eingestiegen: Die Entwicklungsbank AG finanziert mit 23 Millionen Dollar Investitionssumme das bislang größte private Wasserkraftwerk La Vegona in der Provinz Yoro - im Norden des Landes - mit. Doch auch gegen dieses Projekt regt sich örtlicher Widerstand: Die Gewerkschaft der staatlichen Energiegesellschaft ENEE wirft der Vegona-Betreibergesellschaft Cohersa vor, beim Bau illegal Strom für umgerechnet 225.000 Euro aus dem öffentlichen Netz abgezweigt zu haben. Die Cohersa-Sprecher verkündeten daraufhin, dass der Strom, sobald die 38,5-Megawatt-Anlage heuer in Betrieb gehe, zurückgespeist werden soll.

La Vegona soll nach Aussagen der Österreichischen Entwicklungsbank Honduras’ Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen mindern. Kritiker befürchten jedoch, dass ein beachtlicher Teil des dort erzeugten Stroms in das länderübergreifende mesoamerikanische Verbundnetz abfließt - und Honduras damit nur teilweise zur Verfügung stehen wird. La Vegona soll laut Betreiber zwar ausdrücklich Strom liefern für 500 neue lokale Arbeitsplätze - allerdings in der Maquila-Industrie: Maquila ist das spanische Wort für den Typ Billiglohn-Weltmarken-Fabriken, meist im Textilsektor.

Fast das ganze 20. Jahrhundert hindurch war Honduras die klassische, von außen gesteuerte "Bananenrepublik" - eine Enklave, beherrscht von drei US-amerikanischen Bananenkonzernen. Erst seit den 1990er Jahren hat sich das nachhaltig geändert. In den letzten 30 Jahren wurde das Land fast vollständig ein paar wenigen Clans übereignet, etwa den Canahuati Larach, zu denen auch Cohersa-Präsident Adolfo Larach gehört, den Flores Facussé, Ferrari, Andoni, Kafati, Nasser, Rosenthal. Etwa 130.000 Bewaffnete stehen in privaten Diensten dieser mächtigen Familien, vor allem Zucker- und Palmölbarone.

Schatten über dem Wahljahr
Ismael Moreno, Chef des Alternativradios Progreso, das als einziges Medium über das La-Vegona-Projekt kritisch berichtet hat, erläutert: "Unter Aufsicht des multinationalen Kapitals und mit Unterstützung des Staates kontrollieren die Clans inzwischen alles: Handel, Spekulationsgeschäfte, Agrarindustrie, Energiesektor, Medien und Kommunikation, Tourismus, Transport." Über das traditionelle Zwei-Parteien-System aus Konservativen und Liberalen hätten sie auch das Parlament fest im Griff. Das wiederum bestimme über die Justiz, Polizei und das Militär sowie die Vergabe von Konzessionen für Großprojekte. "Die traditionelle Politik bringt nichts als Gewalt und Straflosigkeit hervor. Die Institutionen des Staates dienen als Zuflucht für Leute, die Verbrecher sind, die Allianzen mit dem internationalen organisierten Verbrechen eingehen und ganze Institutionen, wie etwa die Nationalpolizei, in kriminelle Maschinerien umfunktionieren", so Morenos vernichtendes Urteil.

Im November tritt die neue Partei Libre ("Freiheit und Neugründung") zur Wahl an. Ihre Präsidentschaftskandidatin Xiomara Castro ist die Ehefrau des 2009 weggeputschten Linksliberalen "Mel" Zelaya. Sie gilt als populär, ihre Partei Libre freut sich über ihre guten Umfrageergebnisse sind vielversprechend. COPINH-Frontfrau Berta Cáceres warnt allerdings energisch davor, das Eigenengagement der Bürger wegen einer vagen Hoffnung auf einen Wahlsieg von Libre aufzugeben.

"Die Gewalt gegen die Opposition wird in den nächsten Monaten auf jeden Fall zunehmen - gegen Libre-Kandidaten genauso wie gegen die zivilen Widerstandsbewegungen, die nach dem Putsch erstarkt sind", so Cáceres. Wer sich nicht kaufen lasse, dem blieben bald nur noch "balas" - zu Deutsch: Kugeln. Diese könnten vielen erspart werden, würden ausländische Investorengruppen nicht blind auf den Ausverkaufs-Zug aufspringen. Nur internationaler Druck kann ein Gemetzel im Wahljahr 2013 verhindern.

www.hondurasdelegation.blogspot.co.at

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