Präsident von Kolumbien kritisiert Ausnahmezustand in El Salvador
Geheime Polizeidokumente enthüllen gefälschte Statistiken über Gewalt. Hohe Zustimmungswerte für Bukele, Petro spricht von Demokratieverlust
Von Hans Weber
amerika21
Bogotá/San Salvador. Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro hat die umstrittenen Maßnahmen der Regierung Nayib Bukele zur Bekämpfung von Jugendbanden in El Salvador in Frage gestellt. Er postete auf Twitter einen Bericht des argentinischen Portals Infobae, wonach Bukele die Zahl der Getöteten in seinem Land fälschlicherweise heruntergespielt habe, um über Erfolge den anhaltenden Ausnahmezustand zu rechtfertigen.
Die angeprangerte Manipulation von Zahlen bezeichnete Petro als "Falso Positivo", als falsche Erfolgsmeldung der Kriminalpolitik Bukeles. Für Petro bedeute die "Realität des Falso Positivo" in El Salvador die "Zerstörung der Demokratie", was zugleich die Zerstörung des Menschen sei. "Meiner Meinung nach besteht der Weg zur Lösung der aktuellen Probleme der Menschheit in der Radikalisierung des demokratischen Projekts. Mehr Demokratie, nicht weniger Demokratie", twitterte das linksgerichtete kolumbianische Regierungsoberhaupt.
In Kolumbien sind unter der Bezeichnung "Falsos Positivos" tausende Fälle bekannt geworden, bei denen Militärs während des bewaffneten Konflikts Zivilpersonen töteten und die Leichen als im Kampf gefallene Guerilla-Kämpfer und als "Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus" präsentierten.
Petro hatte kürzlich nach der Verlegung von 2.000 Gefangenen in das Mega-Gefängnis "Centro de Confinamiento del Terrorismo" bereits scharfe Kritik an den Maßnahmen der salvadoriainischen Regierung und an der Behandlung der Gefangenen geübt (amerika21 berichtete).
Anlässlich des ersten Jahrestages der Verhängung des Ausnahmezustands hatte Bukele letzte Woche den "Erfolg im Krieg gegen die Banden" gefeiert. "Wir werden uns weiterhin für die Sicherheit der Salvadorianer einsetzen. Auch wenn Menschenrechts-NGOs sich beschweren", twitterte der salvadorianische Präsident.
Seit März 2022 konnte Bukele mit Unterstützung des Parlaments den Ausnahmezustand zwölfmal verlängern. Unter dessen Regeln wurden mehrere Grundrechte außer Kraft gesetzt und über 65.000 Menschen verhaftet. Während mehrere Organisationen wie Amnesty International "massive Menschenrechtsverletzungen und die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit" durch den Ausnahmezustand beklagen, rühmte sich Bukele eines beispiellosen Rückgangs der Mordrate.
Die Zeitschrift Elementos enthüllte jedoch geheime Berichte des Geheimdienstes der Nationalen Polizei (PNC), denen zufolge die Regierung Bukele die Zahlen über Morde gefälscht hat. Das Dokument zeige, "dass die Regierung gelogen hat", heißt es in dem Enthüllungsartikel von Elementos. Die Berichte der PNC wurden dem Magazin von der Hacker-Aktivistengruppe Guacamayas zugespielt.
Die PNC-Geheimdokumente registrierten in den ersten zwei Monaten des Ausnahmezustands 67 Todesfälle durch Banden und 13 durch die Polizei. Die Regierung gab jedoch nur 39 Tote für diesen Zeitraum an.
Dasselbe gilt für die Zahl der Verschwundenen. Im April und im Mai 2022 verzeichneten die Geheimdokumente 65 Verschwundene, während die Regierung für den gleichen Zeitraum keine einzige Vermisstenmeldung vorlegte. Dabei war die Zahl der Vermisstenanzeigen in beiden Monaten weitaus höher als in den Berichten der PNC, nämlich 169.
"Was wir hier sehen, ist, dass sie um jeden Preis verhindern wollen, dass Tötungsdelikte registriert werden, um einen totalen Erfolg zu präsentieren. Aber so etwas können sie nicht verbergen. Die Zahl der Tötungsdelikte ist zurückgegangen, aber warum die Zahlen verbergen? Wenn die Realität an die Tür klopft, kann kein noch so großes Gerede sie verbergen", so ein Polizeioffizier gegenüber Infobae.
Im gesamten Jahr des Ausnahmezustands starben 150 Menschen in den Gefängnissen von Bukele, berichtet die Bewegung der Opfer des Ausnahmezustands (Movir). Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Cristosal sollen 102 Menschen in den Haftanstalten gestorben sein. Diese Todesfälle tauchen in den Rechnungen der Regierung nicht auf, beklagt Ivana Cruz, Mitglied des Komitees der politischen Gefangenen von El Salvador (Cofappes).
Der Umgang mit inhaftierten Bandenmitgliedern sorgte im Februar für weltweites Entsetzen, als Bukele das Mega-Gefängnis "Terrorismus-Gefängniszentrum" (Centro de Confinamiento del Terrorismo - Cecot) einweihte. Zu sehen waren eng aneinandergepresste, zusammengekauerte Häftlinge mit nacktem Oberkörper in Handschellen, die Arme hinter dem Kopf und auf dem Boden sitzend.
Laut Human Rights Watch sollen während des Ausnahmezustands weit verbreitet Menschenrechtsverletzungen begangen worden sein, darunter Folter, unrechtmäßige Strafverfolgung sowie das Verschwindenlassen von Personen. Auch für Todesfälle in der Haft seien Übergriffe ursächlich.
Amnesty International prangerte eine "gravierende und anhaltende Verschlechterung des Zugangs zu staatlichen Informationen" in El Salvador an. Die meisten der 60.000 Verhaftungen während des Ausnahmezustands seien willkürlich gewesen. Sie erfüllten nicht die gesetzlichen Voraussetzungen wie das Vorliegen eines Haftbefehls oder die Festnahme auf frischer Tat.
Die Beliebtheit von Bukele ist jedoch nach wie vor hoch. Bei jüngsten Umfragen gaben 91 Prozent der Befragten an, dass sie die Arbeit des Präsidenten gutheißen.