EL SALVADOR: Gemeinderadio im Visier

Von Edgardo Ayala

(Lima, 08. Juli 2011, noticias aliadas-púlsar).- Nach dem Mord an einem
weiteren Umweltaktivisten fürchtet die Journalistin Maricela Ramos um ihr
Leben – genauso wie die anderen MitarbeiterInnen von Radio Victoria, denn
sie haben Todesdrohungen erhalten. Doch was für Ramos noch schlimmer ist:
Die Drohungen richten sich inzwischen auch gegen ihre kleine zweijährige
Tochter. Gegenüber Noticias Aliadas erklärte Ramos: "Inzwischen drohen
sie meiner Tochter direkt, es tut sehr weh, dass es immer noch so
weitergeht und die Behörden uns keine klare Antwort geben, wer
dahintersteckt." Anfang Juni, eine Woche nach dem Interview, sah sich
Ramos gezwungen, aus El Salvador zu fliehen, um ihr Leben und das ihrer
Tochter zu schützen.

Neue Drohungen

Ende Juli 2011 wurden die MitarbeiterInnen des Senders erneut bedroht. Wie
der Journalist Oscar Beltrán berichtete, wurden außerdem elektrische
Anlagen und der Sendemast beschädigt. Die BewohnerInnen von Victoria
hätten das Radio beschützt, nachdem Unbekannte gedroht hatten, das
Gebäude anzuzünden.

Radio Victoria ist ein Gemeinderadio in dem Ort Victoria im Department
Cabañas, 95 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt San Salvador. Seit zwei
Jahren erhalten die MitarbeiterInnen des Senders Todesdrohungen per
Telefon, E-Mail oder Post. Absender ist eine Gruppe namens
"Vernichtung" ("Exterminio"), die ihnen droht: "Schweigt oder ihr
werdet verwest wieder auftauchen." Die Mails und Anrufe lassen selten
durchblicken, über welche Themen der Sender gefälligst schweigen solle
– obwohl mehr als einmal ein direkter Hinweis auf das umstrittene Thema
des Metallbergbaus gegeben wurde. Andere Drohungen erweckten den Anschein,
sie kämen von Drogenhändlern; das macht allerdings wenig Sinn, denn der
Sender beschäftigt sich nicht mit Themen dieser Art.

Gegen den umweltschädigenden Bergbau

Die Gemeinderadios entstanden nach dem Ende des Bürgerkrieges 1992. Es war
ein Versuch, den ärmsten Gemeinden im Land eine Stimme zu geben. Die
Sender waren so eine wichtige Informationsquelle, unabhängig von den
kommerziellen und politischen Interessen, mit denen die traditionellen
Medien durchsetzt sind. Etwa 20 Gemeinderadios sind in der Vereinigung der
BürgerInnenradios in El Salvador ARPAS (Asociación de Radios y Programas
Participativos de El Salvador) organisiert und senden im ganzen Land.

Die MitarbeiterInnen von Radio Victoria gehen davon aus, dass mit den
Drohungen die Hauptfrequenz zum Schweigen gebracht werden soll, die
nachdrücklich die Bergbauprojekte in El Salvador kritisiert; vor allem das
Projekt der kanadischen Bergbaufirma Pacific Rim in Cabañas. Dort, in der
Mine El Dorado, hat das Unternehmen seit 2002 Probebohrungen durchgeführt.
Doch 2009 hat sich die Regierung von Präsident Antonio Elías Saca
(2004-2009) von der rechten ARENA-Partei plötzlich gegen den Bergbau
ausgesprochen mit dem Argument, dass Zweifel über negative Auswirkungen
für Mensch und Umwelt nicht ausgeräumt worden seien. Im darauf folgenden
Jahr hat die Regierung von Mauricio Funes von der linken FMLN dem
Unternehmen die Erlaubnis verweigert, das Bergbauprojekt durchführen zu
dürfen.

Daraufhin verklagte Pacific Rim den Staat El Salvador auf Schadensersatz in
Höhe von 77 Millionen US-Dollar mit dem Argument, die verweigerte Lizenz
sei ein Verstoß gegen das Freihandelsabkommen zwischen Zentralamerika und
den USA TLCAC-RD. Momentan wird der Fall vor dem internationalen
Schiedsgericht der Weltbank in Washington verhandelt.

Todesdrohungen wegen Warnung vor Umweltschäden

Die Reportagen von Radio Victoria informierten über eine mögliche
Verschmutzung des Wassers in der Region, da Zyanid beim Abbau von
Edelmetallen eingesetzt wird. Abgesehen von der Umwelt stehen bei Radio
Victoria auch soziale und politische Themen auf dem Programm, wie
Menschenrechte, Frauen, Kinder, als auch Berichterstattung über die 2012
anstehenden Gemeindewahlen.

Die jüngsten Angriffe richteten sich gegen die JournalistInnen Pablo
Ayala, Maricela Ramos und Manuel Navarrete im vergangenen April und Mai.
Ihnen wurden anonyme Briefe unter der Tür durchgeschoben oder sie
erhielten E-Mails oder Anrufe. Die Drohungen sagten klar und deutlich, dass
der Sender aufhören müsse, so zu informieren wie bisher. "Mir und
anderen Kollegen haben sie nur ein paar Stunden Zeit gegeben, um das
Department Cabañas zu verlassen, andernfalls würden wir umgebracht",
erzählte der Moderator des Senders Manuel Navarrete gegenüber Noticias
Aliadas.

Der Sender hat auch sehr kritisch berichtet über die Unfähigkeit des
jetzigen Bürgermeisters von Victoria, Juan Antonio Ramos, kommunale
Projekte durchzuführen. Daher gibt es Vermutungen, dass die Drohungen aus
dieser Richtung kommen könnten, doch die Behörden haben bisher nicht zu
erkennen gegeben, in welche Richtungen sie ermitteln.

Sehr lange Untersuchungsphase

Mit den Untersuchungen ist die Generalstaatsanwaltschaft des Lands betraut,
doch sie hat noch nichts über die Herkunft der Drohungen verlauten lassen.
Der Generalstaatsanwalt Romeo Barahona äußerte gegenüber Noticias
Aliadas lediglich Verständnis für die Sorgen des Personals von Radio
Victoria. Doch dies beeinflusse nicht den Fortschritt der Untersuchungen,
denn diese hätten ihr eigenes Tempo: "Wir sind in der
Untersuchungsphase", erklärte Barahona lediglich.

Bereits drei Morde in 2009

Im vergangenen Jahr hatte die Interamerikanische Menschenrechtskommission
CIDH (Comisión Interamericana de Derechos Humanos) vom salvadorianischen
Staat verlangt, für den Schutz der Einrichtungen des Radios und einiger
seiner MitarbeiterInnen zu sorgen. Denn die Drohungen werden nicht auf die
leichte Schulter genommen angesichts der Mordserie, die Cabañas zwischen
Juni und Dezember 2009 erschütterte. Diese hatten als gemeinsamen
Hintergrund den Streit um den Bergbau.

Das erste Opfer war der Gemeindeaktivist Marcelo Rivera, der dem
landesweiten Runden Tisch gegen den Tagebau (Mesa Nacional contra la
Minería Metálica) angehörte. Er wurde entführt und erst Tage später
wurde seine Leiche mit deutlichen Foltermerkmalen aufgefunden. Es folgten
die Morde an Ramiro Rivera Gómez und Dora Alicia Sorto Rodríguez, die im
achten Monat schwanger war. Beide arbeiteten im Umweltkomitee von Cabañas.

Die Motive für die Verbrechen könnten im Engagement gegen die Mine El
Dorado gefunden werden. Denn die Ermordeten hatten zuvor Todesdrohungen
erhalten und wurden aufgefordert, ihre Haltung aufzugeben und ihre
Aufklärungsarbeit über die Auswirkungen des Bergbaus zu beenden. Doch
für die Polizei waren Feindseligkeiten zwischen Befürwortern und
GegnerInnen des Projektes von Pacific Rim der Grund für die Morde an
Rivera Gómez und Sorto Rodríguez. Im Juli 2010 wurden neun Menschen unter
dem Vorwurf festgenommen, an den Morden an Rivera Gómez und Sorto
Rodríguez beteiligt gewesen zu sein. Im September 2010 wurden sechs
Personen für den Mord an Marcelo Rivera verurteilt, drei zu 40 Jahren
Haft, die anderen zu jeweils drei Jahren.

Kein Vertrauen in Schutz

Obwohl die Sendeanlagen des Radios von Polizisten geschützt werden, trauen
die MitarbeiterInnen dem Schutz nicht. Óscar Beltrán, ebenfalls
Journalist bei Radio Victoria, hat Polizeischutz rund um die Uhr –
dennoch sieht er die staatliche Präsenz, die über seine Sicherheit wacht,
mit Argwohn: "Sie machen Notizen über alles, was wir am Tag machen, auch
mit wem wir uns treffen. Einige meinten zu uns, wenn die Drohungen wirklich
echt wären, hatten sie doch schon jemanden vom Radio umgebracht."

Am 24. Juni 2011 verurteilte das CIDH den Mord an Juan Francisco Durán
Ayala und forderte den salvadorianischen Staat auf, das Verbrechen zu
untersuchen und die Verantwortlichen zu bestrafen. Juan Francisco Durán
Ayala wurde Anfang Juni ermordet; auch er war Mitglied des Umweltkomitees
von Cabañas. Nach Informationen des CIDH wurde Durán Ayala zuletzt
gesehen, wie er Plakate für ein Gesetz gegen den Bergbau aufhängte. Zwei
Tage später fand man seine Leiche, mit zwei Kugeln im Kopf.

(Hintergrundinfos findet ihr unter Anderem bei poonal und auf Englisch bei Voiceelsalvador
 --

Quelle: poonal

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