El Salvador

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Aktivitäten zu El Salvador 2022

Seit dem 27. März 2022 herrscht in ganz El Salvador Ausnahmezustand. Er war ursprünglich auf 30 Tage begrenzt, ist aber immer wieder verlängert worden. Begründet wurde die Verhängung des Ausnahmezustands mit der extremen Verbrechenssituation, vor allem der hohen Mordrate. Seither sind zehntausende Personen zum Teil ohne Anklage und Prozess in die sowieso schon überfüllten Gefängnisse gesperrt worden. Betroffen waren neben mutmaßlichen Mitgliedern krimineller Banden auch Aktivist*innen aus den sozialen Bewegungen. Trotz der nicht abreißenden Kritik an den Folgen des Ausnahmezustandes sind die Zustimmungswerte für Präsident Nayib Bukele sehr hoch, so dass der schon darüber nachdenkt, bei den kommenden Wahlen erneut als Kandidat anzutreten.

Ausnahmezustand setzt Grundrechte außer Kraft

Ausnahmezustand in El Salvador verschärft Militarisierung
Ausnahmezustand in El Salvador verschärft Militarisierung / Foto Fuerzas Armadas El_Salvador

Begründet wurde die Verhängung des Ausnahmezustands mit der extrem gestiegenen Mordrate. Ursprünglich war dessen Dauer auf 30 Tage begrenzt. Allerdings wurde er immer wieder bis über das Ende des Jahres 2022 hinaus verlängert.(1)

Infolgedessen wurde die Präsenz von Polizei und Militär auf den Straßen massiv erhöht. Ganze Stadtteile wurden abgeriegelt und die Menschen so in ihrer Bewegungsfreiheit behindert.

Daneben wurden wichtige Grundrechte außer Kraft gesetzt. Dazu gehören das Recht auf einen fairen Prozess, das Recht auf Verteidigung, das Versammlungsrecht und das Kommunikationsgeheimnis.

Des Weiteren können Richter*innen sowie Justizangestellte von nun an in Prozessdokumenten und bei gerichtlichen Anhörungen anonym bleiben. Kriminelle Banden und Maras gelten als terroristische Organisationen. Allein die Zugehörigkeit zu einer Bande wird hart bestraft. Kinder im Alter zwischen 12 und 15 Jahren können bis zu zehn Jahre und 16-18-Jährige bis zu 20 Jahre inhaftiert werden.(2)

Dies alles hatte zur Folge, dass in den folgenden Monaten zehntausende Personen zum Teil ohne Anklage und Prozess im Gefängnis landeten. Meist handelte es sich dabei um Bewohner*innen aus ärmeren Stadtteilen. Zum Teil traf es jedoch auch Aktivist*innen aus den sozialen Bewegungen oder Gewerkschaften, wie zum Beispiel die Präsidentin der Verbände für kommunale Entwicklung (Asociaciones de Desarrollo Comunal, Adesco), Roselia Elvira Rivas Alfaro. Ein Richter, der Verhaftete freilassen wollte, wurde strafversetzt.(3)

Die Militarisierung im Alltag ist deutlich sichtbar. In der Hauptstadt San Salvador gibt es zum Beispiel Buslinien, die vom Militär übernommen wurden. Dabei werden Soldaten als Busfahrer eingesetzt. An den Vorder- und Hintertüren sind Uniformierte mit Maschinengewehren postiert. Allerdings patrouillieren die Sicherheitskräfte nicht nur in den Stadtteilen mit hohen Kriminalitätsraten. Selbst in der relativ sicheren Gegend um Guarjila im Departement Chalatenango werden am frühen Abend Bars und Geschäfte von der Polizei geschlossen und die Leute nach Hause geschickt, während auf den Straßen das Militär mit Maschinengewehren Präsenz zeigt.

Die durch den Ausnahmezustand verursachte Situation wirkt sich auch auf die Aktivitäten der sozialen Bewegungen aus. So ist es schwierig, sich zu Besprechungen mit mehreren Teilnehmenden zu treffen, weil dies von den Behörden als eine kriminelle Versammlung ausgelegt werden könnte. Ebenfalls verboten ist das Durchführen von Demonstrationen. Dennoch entschieden sich am 1. Mai zahlreiche Organisationen gegen die Angst und dafür, trotz des Verbots auf die Straße zu gehen. Dadurch gelang es, mehrere Tausend Menschen auf die Straßen zu bringen. Allerdings fiel die Beteiligung geringer aus als in den vorigen Jahren. Teilnehmende berichteten von einer angespannten Atmosphäre.(4)

Ausnahmezustand verschärft Krise in den Gefängnissen
Ausnahmezustand verschärft Krise in den Gefängnissen / Foto Twitter: Nayib Bukele

Neben diesen massiven Grundrechtsverletzungen bereiten auch die Zustände in den Gefängnissen Sorge. Es sind laut Angaben eines lokalen Netzwerks von Organisationen seit Verhängung des Ausnahmezustands mindestens 80 Gefängnisinsassen ums Leben gekommen. Die Todesfälle in Haft gehen laut Menschenrechtsorganisationen vor allem auf Verletzungen durch Schläge bei der Verhaftung, mangelnde Behandlung chronischer Krankheiten, Übergriffe durch andere Gefangene und miserable sanitäre Zustände zurück. Zuvor waren Berichte über unmenschliche Bedingungen in den Gefängnissen öffentlich geworden. Insassen sitzen demnach in überfüllten Zellen und verrichten ihre Notdurft in offenen Behältern, die erst geleert werden, wenn sie voll sind. Sie leben von ein paar Maistortillas am Tag und haben keinen Zugang zu Trinkwasser.(5)

Proteste gegen Militarisierung
Proteste gegen Militarisierung / Foto: Bloque de Resistencia y Rebeldía Popular

Leider ist es so, dass neben dem Ausnahmezustand die übrigen Probleme des Landes weiter bestehen beziehungsweise noch größer geworden sind.

Die Rechtshilfeorganisation Fespad (Fundación de Estudios para la Aplicación del Derecho) kritisiert in diesem Zusammenhang, dass weder Generalstaatsanwaltschaft noch Polizei die Suche nach den Menschen fortsetzen, die in El Salvador verschwunden sind. Im Vordergrund stünden stattdessen die Verhaftungen im Zuge des Ausnahmezustandes.(6)

Ebenfalls problematisch bleibt die Arbeit von Journalist*innen. So wurden die im Jahre 2021 bekannt gewordenen Fälle der Ausspähung von mutmaßlich mehr als 35 Medienschaffenden nicht weiter von der Staatsanwaltschaft El Salvadors verfolgt. Aus diesem Grund klagen nun 15 betroffene Mitarbeiter*innen der Online-Zeitschrift El Faro vor einem US-Gericht gegen die Softwarefirma NSO Group.(7)

Weitere Probleme: Wasser, Bitcoin und Rente

Wie bereits im letzten Jahresbericht angedeutet, trat im Jahre 2022 das sogenannte Wasserressourcengesetz in Kraft. In einigen Passagen erweckt dies den Anschein, sich an den Forderungen der sozialen Bewegungen zu orientieren. Im Kern zielen die neuen Regelungen jedoch darauf ab, ein Quasi-Privatisieren der Wasserversorgung zu ermöglichen. Zum einen erhalten Unternehmen, die mit Wasser handeln, eine Genehmigung für mindestens 15 Jahre – unabhängig davon, ob es in naher Zukunft zu einer Wasserknappheit oder einem erhöhten Bedarf für die Haushalte kommt. Es ist offenkundig, dass dieses Gesetz die Gewinne der Wasserhändler*innen gewährleisten soll und nicht den Zugang der Bevölkerung zu dem lebenswichtigen Gut.(8)

Ebenfalls als kritisch hat sich das Projekt des Bitcoins als offizielles Zahlungsmittel erwiesen. Grund dafür ist die Tatsache, dass, seit seiner Einführung im Jahre 2021, der Bitcoin 50 Prozent an Wert verloren hat.(9)

Gegenüber dem Ökubüro äußerte eine Wirtschaftswissenschaftlerin aus El Salvador die Befürchtung, dass die daraus resultierenden Folgen für den Staatshaushalt durchaus zu einer Insolvenz des Landes führen könnten. Darüber hinaus erklärte sie, dass das System des Bitcoin als Zahlungsmittel von der Bevölkerung nicht angenommen würde und auch die Technik der elektronischen Geldbörse an den Kassen der Supermärkte häufig nicht funktioniere.

Ebenfalls problematisch bleibt das nach wie vor chronisch unterfinanzierte Rentensystem. In El Salvador betragen die Renten lediglich zwischen 25 und 30 Prozent des letzten Lohns. Die Gewerkschaften der Lehrenden hingegen verlangen Renten von mindestens 75 Prozent der Entlohnung. Am 15. September 2021 kündigte Präsident Nayib Bukele an, er werde einen Entwurf für eine Reform des Rentengesetzes erstellen. Am 15. Oktober verschob er die Umsetzung seines Versprechens und sagte, er brauche noch ein paar weitere Wochen dafür. Aufgrund der Untätigkeit der Regierung kam es sowohl im Februar als auch im Juni 2022 zu Protestkundgebungen. Bisher ohne Erfolg.(10)

Außenpolitik: Distanz zu den USA, vorsichtige Annäherung an China

Chinas Botschafterin Ou Jianhong und El Salvadors Präsident Nayib Bukele
Chinas Botschafterin Ou Jianhong und El Salvadors Präsident Nayib Bukele, Quelle: SECRETARÍA DE PRENSA DE LA PRESIDENCIA DE EL SALVADOR

Außenpolitisch gestalten sich die Beziehungen zu den USA unter der Regierung von Joe Biden etwas distanziert. Präsident Nayib Bukele hatte in seiner populistischen Art die Regierung der USA immer wieder vor den Kopf gestoßen. So warf Bukele dieser vor, die in El Salvador operierenden Maras zu unterstützen. Dies, nachdem der Sprecher des US-Außenministeriums Ned Price die Maßnahmen El Salvadors im Zuge des Ausnahmezustandes kritisiert hatte.(11)

Gleichzeitig setzte Bukele die unter der FMLN-Regierung vorsichtig begonnene Annäherung an China weiter fort. So gab seine Regierung Anfang des Jahres bekannt, dass die Volksrepublik das neue Nationalstadion, dessen Bau im Jahre 2022 beginnen sollte, finanzieren werde.(12)

Weitaus bedeutender waren jedoch die im November aufgenommenen Verhandlungen der beiden Staaten über ein Freihandelsabkommen. Die Regierung Bukele verspricht sich wirtschaftliche Vorteile für sein Land, manche Expert*innen sehen allerdings auch Risiken, zumal die Handelsbilanz der beiden Staaten nicht ausgeglichen ist. El Salvador importiert mehr als doppelt so viel aus China, als es dorthin exportiert.(13)

Angesichts der prekären ökonomischen Lage könnte Bukele versucht sein, in dem asiatischen Riesen eine Art Rettungsanker zu finden. Laut einem Bericht des Onlinemediums Bloomberg habe China angeboten, die kompletten Schulden El Salvadors aufzukaufen und umzustrukturieren.(14)

Dadurch könnte es gelingen, eine Staatspleite zu verhindern beziehungsweise von den USA und IWF diktierte neoliberale Strukturanpassungsmaßnahmen zu umgehen. Allerdings bleibt offen, welchen Preis China für diesen möglicherweise faustischen Pakt eines Tages verlangen wird.

Ausblick

Paradoxerweise bleiben trotz der multiplen Probleme und der nicht abreißenden Kritik die Zustimmungswerte im Land für Nayib Bukele sehr hoch, wie die Umfragen verschiedener Meinungsforschungsinstitute nahelegen.(15)

Allerdings formiert sich auch langsam der Widerstand. Ein Beispiel dafür ist der Bloque de Resistencia y Rebeldía Popular (Populärer Block des Widerstands und der Rebellion). Der Bloque ist ein Zusammenschluss von mehr als 30 Organisationen und Gruppierungen, die sich als links, antikapitalistisch, antipatriarchalisch und antiimperialistisch definieren. Einige von ihnen sind studentische oder Gewerkschaftsorganisationen, feministische Gruppen, Bäuer*innen oder Veteran*innen der FMLN. Letzterer hat sich den Kampf gegen die Diktatur und die Wiederherstellung der Demokratie zum Ziel gesetzt (siehe Interview von Ökubüro auf amerika21).(16)

Im Jahr 2022 hat der Bloque trotz des bestehenden Demonstrationsverbots mit zahlreichen Aktionen auf der Straße Präsenz gezeigt.

Alles in allem jedoch macht die Situation in El Salvador derzeit wenig Hoffnung auf Besserung. So ist es durchaus vorstellbar, dass die mit dem Ausnahmezustand verbundenen Maßnahmen noch über Jahre hinweg verlängert werden. Dies auch, weil der amtierende Präsident bereits durchblicken lässt, bei den kommenden Wahlen erneut als Kandidat antreten zu wollen.(17)

Dies widerspricht eigentlich der Verfassung El Salvadors. Mit einer breiten Mehrheit im Parlament sowie der Kontrolle über die Polizei, das Militär und das Justizsystem und einer nach wie vor vergleichsweise schwachen Widerstandsbewegung wird die Verfassung den Ambitionen des Präsidenten aber wohl eher nicht im Wege stehen.

(1) https://amerika21.de/2022/03/257403/ausnahmezustand-el-salvador-bukele
https://twitter.com/prensagrafica/status/1508018619380338699

(2) https://amerika21.de/2022/04/257505/el-salvador-ausnahmezustand-grundrechte

(3) https://twitter.com/JuanPappierHRW/status/1510021940009914375?t=AUo9xAgGZUbvX1gJqr2W9Q&s=19

https://www.laprensagrafica.com/elsalvador/Denuncian-captura-arbitraria-de-una-presidenta-de-ADESCO-20220330-0084.html

(4) https://gatoencerrado.news/2022/05/01/las-marchas-y-la-reunion-en-lujoso-hotel-dos-celebraciones-por-el-dia-de-trabajo/

https://amerika21.de/2022/05/257870/el-salvador-maikundgebung-spannung

(5) https://www.infobae.com/america/america-latina/2022/10/24/denuncian-que-los-detenidos-durante-el-estado-de-excepcion-de-nayib-bukele-en-el-salvador-estan-muriendo-en-la-carcel/

https://amerika21.de/2022/11/261117/el-salvador-gefaengnis-morde

(6) https://diario.elmundo.sv/nacionales/familiares-de-desaparecidos-denuncian-que-el-estado-dejo-de-buscarlos

(7) https://knightcolumbia.org/documents/c3wrjy7rzp
https://amerika21.de/2022/12/261442/el-salvador-pegasus-opferklage

(8) https://amerika21.de/2022/01/256347/el-salvador-wasserprivatisierung

(9) https://amerika21.de/2022/11/260790/el-salvador-kritik-bitcoin

(10) https://amerika21.de/2022/02/256768/proteste-rentenreform-el-salvador

https://www.elpais.cr/2022/06/22/docentes-salen-a-las-calles-en-el-salvador-por-mejores-condiciones-laborales/

(11) https://amerika21.de/2022/04/257617/el-salvador-usa-jugendbanden

(12) https://www.nodal.am/2022/01/el-salvador-bukele-anuncia-acuerdos-con-china-y-agudiza-la-tension-con-estados-unidos/

(13) https://amerika21.de/2022/11/261152/bukele-china

(14) https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-11-07/el-salvador-says-china-offered-to-buy-its-external-bond-debt

(15) https://decrypt.co/112024/el-salvador-bukele-popular-bitcoin-bets-economy
https://jpmas.com.ni/el-salvador-costa-rica-y-nicaragua-con-las-mejores-gestiones-de-gobierno-en-las-americas/

(16) https://amerika21.de/analyse/258815/el-salvador-interview-fran-omar

(17) https://www.blickpunkt-lateinamerika.de/artikel/el-salvador-streitet-um-wiederwahlwunsch-von-praesident-bukele/

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