Postkolonialismus


Was für Spuren des deutschen Kolonialismus lassen sich bis heute in München finden? Welche und wessen Geschichte wird heute noch erzählt? Und wie wirken koloniale Strukturen und Denkmuster bis in die Gegenwart?

Diesen Fragen hat sich das Ökumenische Büro dieses Jahr über die Beteiligung an verschiedenen Projekten zu kolonialer Geschichte und postkolonialer Erinnerung gewidmet.

DECOLONIZE MÜNCHEN – eine Ausstellung im Stadtmuseum


Schon bei der Eröffnung wurde klar, dass die Ausstellung DECOLONIZE MÜNCHEN sich auf ein breites Bündnis von Initiativen stützt, das seit langem eine Auseinandersetzung mit den Spuren des Kolonialismus im Stadtbild und in den Denkweisen einfordert. Hamado Dipama (Mitglied des Münchner Ausländerbeirates) wies in seiner Rede darauf hin, dass sich der Kommunalausschuss – trotz eines einstimmigen Beschlusses des Ausländerbeirats diesbezüglich – gegen die Umbenennung von zwölf Straßen in München entschieden hatte, die koloniale Verbrecher ehren.

Ein breit angelegtes Rahmenprogramm erweitert und ergänzt die Inhalte und Debatten rund um DECOLONIZE MÜNCHEN. Getragen wird das Rahmenprogramm für das gesamte Ausstellungsprojekt von den Fachabteilungen des Kulturreferats der Stadt München in Kooperation mit dem Münchner Stadtmuseum und einem Bündnis verschiedener Gruppen und Vereine, welche die Ausstellung initiiert haben: ADEFRA, AK Panafrikanismus, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, mapping.postkolonial.net, [muc] münchen postkolonial, Nord Süd Forum München, Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit.
Die Ausstellung setzt sich aus drei Teilen zusammen:

Spuren Blicke Stören • dekolonisieren.münchen | dekolonisieren.museum

Stadtmuseum

Schaukasten des Stadtmuseum München

 

Kuratiert von Zara Pfeiffer und Martin W. Rühlemann, setzt sich der Teil mit verschiedenen Spuren des Kolonialismus in der Stadt und ihren Museen auseinander. Gleich zu Beginn haben die Besucher_innen die Möglichkeit sich mit Hilfe von 36 Postkarten, die in sieben Themenbereiche aufgegliedert sind, über die Hintergründe von sichtbaren und unsichtbaren Spuren der kolonialen Vergangenheit zu informieren. Die Postkarten dürfen mitgenommen werden und sollen so eine Öffentlichkeit herstellen, die über die Ausstellung hinaus geht.

Im hinteren Bereich der Ausstellung sind Objekte aus der Sammlung des Stadtmuseums ausgestellt. Um die rassistische Repräsentation der Objekte nicht einfach zu wiederholen, sind sie teilweise in dunklen Vitrinen ausgestellt. Die Objekte werden erst sichtbar, wenn sich die Besucher_innen aktiv       entschließen, durch einen Fußschalter die Beleuchtung einzuschalten. So haben die Besucher die Möglichkeit selbst zu überlegen, ob und wie lange sie sich den rassistischen Bildern aussetzen möchten. Zusätzlich spiegeln sich die Betrachter im Glas der Vitrine, wodurch auch der eigene Blick auf die Objekte sichtbar wird.

freedom roads! koloniale straßennamen • postkoloniale erinnerungskultur

Die Wanderausstellung stellt den zweiten Hauptbereich der Ausstellung dar. Hier wird über die Verstrickung einzelner Personen in den Kolonialismus aufgeklärt, die heute noch durch Straßenwidmungen geehrt werden. Dagegen setzen die Macher_innen der Ausstellung Vorschläge für würdigere Namen und erzählen von Aktivist_innen und den Hintergründen des antikolonialen Widerstands. Die Besucher_innen haben auch hier die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden und Vorschläge für die Umbenennung zu hinterlassen.

L’Allemagne avant la Guerre et l’Allemagne après la Guerre (Deutschland vor dem Krieg und Deutschland nach dem Krieg)

In dem dritten Teil der Ausstellung gestaltete der Konzeptkünstler Georges Adéagbo einen ganzen Raum als Installation mit Objekten, die er vor allem in München gesammelt hat. Durch die Hervorhebung und teilweise wahllos wirkende Anordnung von Alltagsgegenständen entsteht ein Raum, der stark an die Sammlungen ethnographischer Objekte in Völkerkundemuseen erinnert, nur dass hier nicht eine ehemalige Kolonie sondern München im Fokus steht. Ein Journalist der FAZ hatte eine Installation von Adéagbo im Rahmen der Documenta11 damals sehr trefflich mit den Worten „Die Entdeckten entdecken die Entdecker“ beschrieben.
Es ist sicherlich nicht unbeabsichtigt, dass die Besucher_innen sich auf der Suche nach der Antwort darauf, was diese Anordnung zu bedeuten hat, verloren fühlen. Die Aufmerksamkeit reicht nur aus, um sich einige einzelne Objekte genauer anzusehen. Darunter sind vertraute Gegenstände: Bücher, Zeitschriften und Bilder. Aber auch verstörende, befremdende Objekte, die nicht zum eigenen Alltag gehören. Die Besucher_innen werden damit konfrontiert, was alles so als repräsentativ für München gelten kann, wenn die verschiedenen hiesigen „Kulturgüter“ gleichberechtigt ausgestellt werden.

Die Ausstellung lädt immer wieder dazu ein, sich aktiv an einer Dekolonisierung der Stadt zu beteiligen. An verschieden Stellen können die Besucher_innen Vorschläge für die Umbenennung von Straßen und Plätzen machen und sich an der Offenlegung von Spuren der kolonialen Vergangenheit und deren Folgen, die bis in unsere Gegenwart reichen, beteiligen. So auch im Rechercheraum der Ausstellung, wo unter anderem das unabhängig von der Ausstellung entstandene Online-Archiv mapping.postkolonial.net präsentiert wird.

mapping.postkolonial.net || Spuren Schichten Gespenster


Das Projekt mapping.postkolonial.net ist ein gemeinsames Projekt der Gruppe [muc] – münchen postkolonial – auf die der Großteil der Rechercheergebnisse zurückgeht –, dem Ökumenischen Büro und dem Labor K 3000 aus Zürich. Finanziell gefördert wurde das Projekt von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ).

mapping

Dekolonisieren durch Mapping

 

Mapping.postkolonial.net ist ein Online-Archiv, das post/koloniale Spuren im Münchner Stadtraum verzeichnet. Hinter dem ersten Menüpunkt Mapping findet sich auf der Homepage www.mapping.postkolonial.net die künstlerische Umsetzung des Projektes. Es erscheint eine fast weiße Seite mit Kreuzen, die Orte im Stadtraum markieren – im Projekt heißen diese Kreuze “Spuren”. Wird auf eines der Kreuze geklickt, erscheinen Informationen zu dem jeweiligen Ort: So wird zum Beispiel die Geschichte der ehemaligen Gummifabrik „Metzler“ im Münchner Westend beschrieben. Man erfährt, dass die Gummifabrik ihre Materialien zur Produktion aus englischen und niederländischen Kolonien bezog und ihre Besitzer sich aktiv an Aktionen des Reichskolonialbundes 1940 beteiligten. Ein anderes Beispiel beschreibt die Geschichte von Cula, einer siebzehnjährigen Frau, die im sogenannten Amazonencorps im Gärtnerplatztheater und den Centralsälen auftrat und während ihres Aufenthaltes in München an einer Lungenentzündung starb. Beerdigt wurde sie am Alten Südlichen Friedhof, wo wir heute aber keine Spuren mehr von ihr finden.
Werden mehrere “Spuren”, die thematisch miteinander verbunden sind, geöffnet, erscheint eine “Erzählung”. Um verschiedene Kreuze herum taucht eine gepunktete Linie auf und zeigt die Verbindungen zwischen verschiedenen dieser Spuren im Stadtraum auf.

Neben “Spuren” und “Erzählungen” gibt es “Schichten”. Diese stellen einen theoretischen Zugang zu den Spuren dar. Zugleich verbinden “Schichten” mehrere “Spuren” zu demselben Thema. “Schichten” gibt es zu den Themen: Rassismus, Migration, Wer spricht?, Zurschaustellen und dekolonisieren.

Spuren

Auf den Spuren des Kolonialismus in München

 

Während auf der Seite gesurft wird, schweben – als verstörendes Moment – Gespenster durch das Bild, die unheimliche Geräusche machen. Bei Gespenstern handelt es sich um rassistische Diskurse, Sprache und Phänomene, die auch heute noch in der Stadt präsent sind. Um den rassistischen Gehalt der Sprache oder der Darstellung nicht zu reproduzieren, sind die Gespenster undeutlich dargestellt. Erst durch ein Klicken auf die Gespenster (manchmal ist es recht schwierig sie zu erwischen), erscheinen die Hintergrundinformationen.

Neben diesem künstlerisch-spielerischem Zugang zu der Seite, können im Archiv alle “Spuren”, “Erzählungen”, “Schichten” und “Gespenster” nachgelesen werden. Zudem gibt es dort einen Stadtplan, der den genauen Ort der Spuren anzeigt.
Mit der Seite wollen wir die bisher nicht bekannten Informationen über Münchens post/kolonialer Geschichte aufzeigen und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Die Seite soll aber auch partizipative Elemente enthalten und eine Stadtöffentlichkeit zum Mitmachen anregen. Hierfür soll in einem nächsten Schritten eine Eingabemaske auf der Seite implementiert werden, in der weitere Informationen oder Aktionen beschrieben werden, die sich gegen den bisherigen positiven Bezug auf den Kolonialismus und dessen Akteure richtet. Dazu zählt etwa die Initiative des Ausländerbeirates zur weiteren Umbenennung von Straßennamen, deren Kommentierung in München oder die Aktion des Ökumenischen Büros zur Umbenennung des Kolumbusplatzes 1992.
Zudem finden sich auf der Homepage unter dem Stichwort “Spurensuche” Vorschläge für Stadtrundgänge. Bei den Rundgängen, die über den Alten Südlichen Friedhof und durch die Altstadt von München führen, können die im Internet aufgelisteten Spuren im Stadtraum angesehen werden: Schnell wird dabei ein Missverhältnis deutlich, denn viele Spuren von ehemaligen kolonialen Akteuren sind noch heute gut sichtbar, in Form von Gräbern oder Denkmälern. Wenig überliefert ist hingegen die Geschichte derer, die vom Kolonialismus betroffen waren. So erinnert kein Grabstein an die junge Frau Cula, die hier beerdigt wurde. Um dieser Erinnerungsform etwas entgegenzuhalten, sollen die Teilnehmer_innen der Rundgänge an den verschiedenen Stationen unter dem Hashtag #dekolonisieren Twitternachrichten verschicken, die alternative Vorschläge des Erinnerns oder den Umgang mit der kolonialen Geschichte Münchens formulieren.

Weitere Informationen unter http://mapping.postkolonial.net

 

 

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