Der scheinheilige Kardinal

Eine Zusammenfassung über den Vortrag des honduranischen Kardinals Rodriguez Maradiaga in Potsdam

von Kirstin Büttner

Am 9. Dezember 2011 wurde am Potsdamer "Institute for Advanced Sustanability Studies" (IASS) der fünfte Vortrag der öffentlichen Vortragsreihe "A diffrent Kind of Development? Perspectives from Latin America" gehalten (http://www.iass-potsdam.de/index.php?id=6). Eingeladen war diesmal der honduranische Kardinal der Römisch-katholischen Kirche und Präsident von Caritas Internationalis, Óscar Andrés Rodriguez Maradiaga. Er kam direkt von der Klimakonferenz in Durban angereist und referierte vor einem ausgewählten Publikum über das Thema "Sustainable Development in the Face of Today's Social Challenges". Die Veranstaltung wurde von Ex-Umweltminister und dem heutigen Vize-Präsident der Deutschen Welthungerhilfe, Klaus Töpfer, moderiert.


Den Vortrag des Kardinals lenkte Herr Töpfer mit Fragen nach möglichen Verbindungen zwischen kultureller Identität und Art der Entwicklung, nach dem Entwicklungsbegriff des Nordens und nach der Sicht des Südens auf den Norden in eine relativ allgemein gehaltene Richtung, Lateinamerika wurde nicht explizit thematisiert.

Der Kardinal sprach dann eine Stunde lang über einige seit langem weltweit bekannte gesellschaftliche Entwicklungen wie die globale Spaltung in Nord und Süd, die Finanzmächte 'die jeden Bezug zur realen Arbeit und dem Wohlergehen der Menschen verloren haben', vom Hunger in der Welt, vom 'Recht auf Unabhängigkeit und Souveränität als Luxus reicher Länder' und von der 'Unsichtbarkeit der wahren Herren der Welt'. In einem ersten Fazit kritisierte er, dass das System, das auf dem Neoliberalismus basiere, extrem ungerecht erscheine, die Gegner vermehrt als Terroristen bekämpft würden und sich die Globalisierung auf die Ökonomie beschränke, um mit dem Ziel des maximalen Profits das soziale Kapital zu beherrschen. Die neuen sozialen Kategorien würden heute nicht mehr zwischen arm und reich unterscheiden, über die der Staat seine schützende Hand halten kann, sondern zwischen Gruppen, die Zugang zum System haben und marginalisierten Gruppen, die keinen Zugang mehr zu den Diensten des Staates haben.

Die Kirche sei aktueller denn je und die vom Papst betonte Armutsbekämpfung fundamentaler denn je. Eine umfassende, integrale Entwicklung mit Schwerpunkt Umwelt müsse das neue Ziel sein, um die Gier, die Irreligiösität und den Materialismus zu bekämpfen, der 'radikaler sei als es der Kommunismus gewesen ist.' Mittlerweile seien aber Korruption, Gewalt und Straflosigkeit so besorgniserregend, dass man sich fragen müsse, welche Rolle denn dem Staat dabei zugeschrieben wird?

Insgesamt sei er jedoch nicht pessimistisch und die Lösung, um diesem Dilemma zu begegnen, sei die Rückkehr zum Politischen. Die Menschen müssten wieder politisch werden, der Staat müsse sich neu konstituieren und mehr als Mittler agieren und aufhören, lediglich Kaste der Lobbys zu sein. In diesem Zusammenhang erwähnte der Kardinal in einem Nebensatz auch kurz die 20 Jahre Militärdiktatur in Lateinamerika und dass neben den Diktaturen Venezuela die einzige Demokratie gewesen sei, was sich heute jedoch genau umgekehrt verhalten würde. Mehr Erwähnung fand Lateinamerika nicht. Seine selbst gestellte Frage, was denn mit dem Politischen geworden ist, wo das Volk geblieben sei, beantwortet er dann mit zwei konkreten Beispielen: das Attentat in Norwegen und die Freiheitskämpfe in Nordafrika. Beide Beispiele würden wohl belegen, dass es noch ein Volk gibt. Also würde es auch noch Hoffnung geben.

Gegen Ende seines Vortrages fordert er eine Politik, die populär und nicht populistisch ist und die die Erfahrungen der Vergangenheit auswertet und vor allem der religiösen Dimension einen Wert beimisst, den Mensch ins Zentrum stellt und die Menschenrechte garantiert, um am Ende noch einmal die Enzyklika Caritas in Veritate von Papst Benedikt ans Herz zu legen.

Nach einer kurzen Kaffeepause hatte das Publikum dann noch die Möglichkeit unter der Moderation von Herrn Töpfer einige Fragen an den Kardinal zu richten.

Auf die Frage wie er die Inhalte seines Vortrags mit seiner eigenen, persönlichen Einstellung zum Militärputsch in Honduras vereinbart, den er immer wieder öffentlich unterstützte und warum er mit keinem Wort die Situation im eigenen Land und die starke Demokratiebewegung als Beispiel für ein politisiertes Volk erwähnt, antwortet er kurz angebunden und ein wenig konsterniert: Er habe nie den Putsch unterstützt, das sei alles Medienpropaganda. Schließlich sei er selbst auch regelmäßig Drohungen ausgesetzt. Honduras befinde sich derzeit gewiss in einer schwierigen Situation, die aber allein auf den Einfluss der Drogenkartelle zurück zu führen ist. Wenn schon kleine Kinder, die er in abgelegenen Dörfern nach ihrem Berufswunsch fragt, am liebsten Drogenboss werden wollen, sei dies ein konkretes Zeichen dafür.

Die Demokratiebewegung und deren Ziele, die durch den Putsch verschlimmerte Menschenrechts-Situation in Honduras, die Einschränkung der Pressefreiheit und die Kriminalisierung der Bäuerinnen- und Bauernbewegung erwähnte er mit keiner Silbe und auch nicht die Anfang Dezember zurück gekehrte Delegation des Entwicklungsausschusses der Bundesregierung.

Eine Erwähnung der aktuellen Situation in Honduras hätte den Kardinal und seinen Vortrag fast ein bisschen glaubwürdig gemacht, so bleiben Worthülsen von alt bekannten Thesen und ein enttäuschtes Gefühl, dass für derartig oberflächliche Vorträge Plattformen bereit gestellt werden und hochrangige Politiker ihre Zeit opfern.

Auf die Frage an das Institut, warum ein Kardinal eingeladen wird, der auch in Deutschland öffentlich für seine Putsch befürwortende Haltung in Honduras kritisiert wurde, kam bisher keine Antwort. Leider gäbe es auch zu der Vortragsreihe keine Hintergrundinformationen, aber im Frühjahr wird wohl eine Publikation mit den Vorträgen und weiteren Beiträgen erscheinen.

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