Honduras

Länderbericht

Schmerz, Trauer, Wut – unser Resumée für Honduras 2016 läßt sich nur schwer in abgewogen analytische Worte fassen. Der Mord an Berta Cáceres in der Nacht auf den 3. März 2016 hat einen Schock bewirkt, der anhält. Die Koordinatorin von COPINH, dem vom Öku-Büro seit 2010 solidarisch begleiteten Rat honduranischer Basis- und Indigenenorganisationen, war weit mehr als eine Umweltaktivistin. Berta kämpfte genauso für die Territorien und Rechte der Lenca im Südwesten von Honduras wie gegen das Patriarchat und neoliberale, neokoloniale Ausbeutung weltwelt. Die Kugeln, die Berta trafen, galten diesem gleichermaßen lokalen wie globalen Widerstand.

Der internationale Aufschrei nach dem Mord hat die Repression in Honduras bisher nicht bremsen können, Projekte wie das Wasserkraftwerk Agua Zarca sind noch nicht endgültig gestoppt. 2016 war für uns ein weiteres Jahr der Herausforderung, die Verantwortung hiesiger Unternehmen und hiesiger Politik für das straffreie Agieren mächtiger Netzwerke in Honduras sichtbar zu machen.

Am 4. März 2016 wäre Berta Cáceres 45 Jahre alt geworden. An diesem Tag nach ihrer Ermordung formulierte COPINH die Zusammenhänge deutlich: „Berta stand unter Schutzmaßnahmen des interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte, dennoch wurde ihre Tötung nicht verhindert. Wir weisen jede Form der Schuldabwehr der honduranischen Regierung, ihrer Institutionen und Repressionsorgane zurück und machen diese direkt für die grausame Ermordung unserer führenden Repräsentantin verantwortlich. Wir wissen sehr genau, wer sie ermordet hat. Wir wissen, dass es die Firma Desarollos Energéticos S.A (DESA) und das Staudammprojekt Agua Zarca waren, finanziert durch den Entwicklungsfonds der niederländischen Bank FMO, den finnischen Fonds für industrielle Zusammenarbeit Ltd. Finnfund, die zentralamerikanische Bank für wirtschaftliche Integration, die Unternehmen Siemens und VoithHydro aus Deutschland, das Unternehmen Castor (Castillo Torres), die Bank Ficohsa, die Unternehmensgruppe der Familie Atala, die Regierung der Vereinigten Staaten durch das USAID-Projekt Mercado und das honduranische Umweltministerium SERNA in Komplizenschaft mit der honduranischen Regierung.”(1)

Manipulation und Ablenkungsmanöver

Die anfänglichen Manöver des Staates, den Mord an Berta als privates Eifersuchts-Verbrechen erscheinen zu lassen oder Konflikten innerhalb COPINHs anzulasten, erinnerten an das Muster geheimdienstlicher Manipulationen nach dem Mord an Guatemalas Bischof Gerardi 1998. Gustavo Castro von der mexikanischen Organisation Otros Mundos, ein Freund Bertas und einziger Augenzeuge der Tat, wurde 24 Tage in Honduras festgehalten und eher als Verdächtigter denn als Zeuge behandelt. Aufgrund des internationalen Drucks mussten die honduranischen Ermittler*innen schließlich doch eingestehen, dass der Mord mit Bertas Arbeit zu tun hatte. Seit Mai 2016 wurden sieben Beschuldigte festgenommen, darunter ein aktiver Militär, ein Manager der DESA sowie ein Leutnant a.D. der honduranischen Armee, der als Sicherheitschef für die DESA gearbeitet hatte.(2)

COPINH, Familienangehörige von Berta und ihre Anwälte kritisieren, dass ihre Rechte als Opfer und Nebenkläger*innen nicht geachtet und sie kaum über die Ermittlungen informiert wurden. Sie bezweifeln, dass ernsthaft nach den Auftraggebern und Finanziers des Mordes gesucht wird, für den umgerechnet etwa 20.000 Euro bezahlt worden sein sollen. Diese Ermittlung müsste sich in zwei korrespondierende Richtungen bewegen: Zum einen hatte Berta immer wieder berichtet, dass ihr Name auf Todeslisten des Militärs stand.(3) Zum anderen war sie als international bekannte und unbestechliche Aktivistin den Haupteigentümern der DESA, der mächtigen Oligarchen-Familie Atala, im Weg, die politische und familiäre Beziehungen in höchste Regierungskreise hat.(4)

Regierung verweigert internationale Ermittlung

Die Anwälte von COPINH und Bertas Kinder äußerten mehrfach Besorgnis über Unzulänglichkeiten und Fehler bei der Autopsie des Leichnams und bei der Spurensuche und Konservierung von Beweismitteln. Zudem seien die Büros der DESA nur unvollständig durchsucht worden, mehrere Computer und Aktenordner seien nicht beschlagnahmt, Zeugenaussagen über die potentielle Verwicklung der DESA-Chefetage in das Mordkomplott nicht aufgenommen, Telefonaufzeichnungen bewusst „überhört“ worden. Sie prangerten private Verbindungen zwischen DESA-Juristen und Staatsanwaltschaft an und fragten, wie es sein konnte, dass ein offizielles Kleidungsstück der Staatsanwaltschaft in einem der Räume der DESA gefunden wurde.(5)

Den Nebenkläger-*innen wurde unter Verweis auf die strikte Geheimhaltung der Zugang zu Informationen verwehrt, gleichzeitig sickerten übers Jahr immer wieder Informationen aus den Ermittlungen in den honduranischen Medien durch. Im Oktober 2016 wurde die Prozessakte einer Richterin geraubt, die sie angeblich abends vom Gericht mit nachhause nehmen wollte; bereits zuvor war in das Büro der Anwälte der Nebenklage eingebrochen und prozessrelevante Dokumente entwendet worden.

Trotz der Empfehlung des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte weigerte sich die honduranische Regierung gegen den Einsatz einer offiziellen unabhängigen, internationalen Ermittlungskommission – etwa nach dem Vorbild der GIEI in Mexiko. Deshalb konstituierte sich im November 2016 eine informelle internationale Gruppe beratender Expert*innen (GAIPE), um dem Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit der Opfer Geltung zu verschaffen und das machtpolitische Geflecht hinter dem Mord an Berta aufzuklären. Fünf erfahrene Jurist*innen aus Guatemala, Kolumbien und den USA setzten sich zum Ziel, eine gut begründete, objektive Ermittlungslinie zu den materiellen und intellektuellen Tätern aufzustellen und Empfehlungen für Reparationen und zukünftige Präventionsmaßnahmen zu geben. Bei einer Konferenz mit internationalen Unterstützer*innen (darunter das Öku-Büro) erklärte GAIPE-Mitglied Liliana Uribe, dass es darum gehe, den Mord an Berta in einen größeren Kontext zu stellen und Elemente zu sammeln, die ihn als Verbrechen gegen die Menschlichkeit international justiziabel machen.

Beteiligt: Internationale Unternehmen und Banken

Voith Hydro, ein Joint Venture des Siemens-Konzerns mit dem Familienunternehmen Voith aus Heidenheim/Brenz, blieb auch 2016 Vertragspartner des honduranischen Unternehmens DESA: Turbinen und weitere technische Ausrüstung für das Wasserkraftwerk Agua Zarca sollten geliefert werden. Nach dem Mord an Berta suspendierten die niederländische Entwicklungsbank FMO und die finnische Entwicklungsbank Finnfund ihre Beteiligung an dem Projekt – vorläufig. Voith/Siemens zogen nach.

Im Februar 2017 ist noch immer nicht entschieden, wann und wie die europäische Beteiligung an „Agua Zarca“ wirklich beendet wird. Ein von der FMO 2016 in Auftrag gegebenes Gutachten, das den Weiterbau nahelegt, soll gegen Jahresende ad acta gelegt worden sein. Die FMO schickte einen Berater, den Argentinier Juan Dumas, zum Projekt vor Ort. Es stellt sich die Frage, wie der „responsible exit”, den die FMO nun erneut sucht, aussehen wird. Die Bank könnte etwa ihre Anteile an einen anderen Finanzier weitergeben. VoithHydro folgt offenbar den Banken, ist aber nicht gewillt, eigene Konsequenzen aus seinem tödlichen Geschäftsgebaren zu ziehen.

Honduras war auch 2016 das weltweit gefährlichste Land für Umweltaktivist*innen

Dem Mord an Berta Cáceres folgten weitere. Honduras blieb laut Global Witness auch 2016 das weltweit gefährlichste Land für Umweltschützer*innen.(6) Im März, kurz nach Bertas Ermordung, wurde COPINH-Aktivist Nelson Garcia erschossen, nachdem er an Protesten wegen einer gewaltsamen Landräumung teilgenommen hatte. Im Juli wurde die Lesbia Yaneth Urquía brutal ermordet. Sie hatte sich in der Widerstandsbewegung gegen den Putsch 2009 und zuletzt im Departement La Paz gegen das Staudamm-Projekt Aurora 1 engagiert, das Familienangehörigen der Vorsitzenden der Regierungspartei und Parlamentspräsidentin Gladys Aurora López gehört. Im Oktober folgte die Ermordung von zwei Führungspersonen der Bauernorganisation MUCA aus dem Aguán-Tal.

Auf COPINH-Mitglieder wurden 2016 mehrere Attentate verübt, unter anderem entkam Bertas Nachfolger, Interims-Koordinator Tomás Gomez im Oktober knapp den Schüssen seiner Verfolger.

Im Mai wurde eine internationale Karawane nach einer Gedenkzeremonie für Berta unter den Augen der Polizei angegriffen, mehrere Teilnehmende wurden verletzt. Demonstrationen des COPINH in der Hauptstadt Tegucigalpa wurden mehrfach von Polizei und Militär brutal niedergeschlagen. Begleitet wurden diese Aktionen von Verleumdungskampagnen - auch gegen internationale Menschenrechtsbeobacht-er*innen und solidarische Begleiter*innen. Wir beobachten mit Sorge, dass zunehmend auch Einreiseverbote als Instrument gegen offenbar unerwünschte internationale Augenzeug*innen benutzt werden, so zum Beispiel gegen Luis Diaz de Teran aus Spanien, wogegen eine Vielzahl von NGO protestierte.

Das neue honduranische Strafrecht: Lizenz zum Töten

Das honduranische Parlament schrieb 2016 mit finanzieller Unterstützung und Beratung durch spanische Expert*innen im Rahmen des Programmes EUROJUSTICIA sein Strafrecht neu. Die Bedenken honduranischer Jurist*innen und sozialer Organisationen verhallten das Jahr über scheinbar ungehört, erst gegen Jahresende wurde dann internationale Kritik an dem Gesetzeswerk vernehmlicher. Alarmierend ist unter anderem, dass der Straftatbestand „Terrorismus“ für sämtliche Handlungen anwendbar gemacht werden soll, die der Staat als “schwere Beeinträchtigung des öffentlichen Friedens” betrachtet. Die Folge, so das Center for Justice and International Law (CEJIL): „Wenn eine Demonstration als Gewaltakt mit dem Ziel, die Bevölkerung zu verängstigen, angesehen wird, müssen die Teilnehmenden mit einem Gerichtsverfahren und Haftstrafen zwischen 40 und 50 Jahren rechnen.”(7)

Mehr als problematisch ist auch der geplante Artikel 25. Er legt fest, dass gegen staatliche Sicherheitskräfte, wenn sie in Ausübung ihres Amtes ihre Waffen gebrauchen und Menschen verletzen oder töten, keine Strafverfolgung stattfindet. Amnesty International stellte entsetzt fest, dass dies jeglichen internationalen Normen widerspreche.(8) Das 2016 eingerichtete Büro des UN-Hochkomissariates für Menschenrechte in Honduras gab zu verstehen, dass die Reform geeignet sei, ein Regime der faktischen Straflosigkeit und Immunität zu errichten. Die Rolle der EU in diesem Spiel wurde kaum beachtet. Einzig die honduranische Journalistin Dina Meza fragte: „Was ist wohl die Motivation der spanischen Entwicklungszusammenarbeit, dieses neue Strafrecht ohne Wenn und Aber zu unterstützen? Mitglieder der Zivilgesellschaft kommen zu dem Schluss, dass sie eine erbärmliche Rolle spielt, denn schließlich werden internationale Menschenrechtsstandards verletzt.”(9)

Der Wiederwahl des Präsidenten steht nichts im Weg

Trotz Korruptionsskandalen, die 2015 noch zehntausende empörter Bürger*innen auf die Straßen getrieben hatten, konnte der amtierende Präsident Juan Orlando Hérnandez 2016 seine autoritäre Herrschaft im Rahmen einer von wenigen mächtigen Familien und Teilen des Militärs „gelenkten Demokratie” festigen. Als so genannter „Garant der Stabilität” wird sein Regime von den USA ebenso gestützt wie von der deutschen und europäischen Außenpolitik geschätzt. In Honduras flammte zivilgesellschaftlicher Protest und Ungehorsam 2016 eher punktuell auf – vor allem in den energischen und erfolgreichen Protesten der Studierenden an staatlichen Hochschulen und in der Bürgerbewegung gegen die Straßenmaut.(10)

Laut honduranischer Verfassung ist die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten verboten. Doch Hérnandez ließ nach dem Modell Daniel Ortegas im Nachbarland Nicaragua, alle lästigen juristischen und institutionellen Widrigkeiten beiseite räumen und kündigte schließlich am 9. November seine erneute Kandidatur an. Der honduranische Jurist Joaquin Mejía resümierte: „2016 hat Hernández ein weitgespanntes Netz aus Vergünstigung und Kontrolle gestrickt, bis er schließlich die Unterordnung aller staatlichen Institutionen, einschließlich der Streitkräfte, erreicht hat. Dies erklärt, wie es so weit kommen konnte, dass nun auch diejenigen Institutionen stillschweigen, deren Pflicht es wäre, die Verfassung zu verteidigen. Und es erklärt den Rückenwind für seine Wiederwahlpläne, die er mit einem Scheindiskurs von Legalität ummantelt hat, der doch nicht verbergen kann, dass es sich um einen weiteren Putsch gegen die fragile Demokratie in Honduras handelt.”(11)

(1) http://hondurasdelegation.blogspot.de/2016/03/erklarung-des-copinh-zur-ermordung-von.html
(2) http://www.aquiabajo.com/blog/2017/1/14/seven-individuals-accused-of-participating-in-berta-caceres-murder-attempt-against-gustavo-castro
(3) http://www.aquiabajo.com/blog/2017/1/14/seven-individuals-accused-of-participating-in-berta-caceres-murder-attempt-against-gustavo-castro
(4) http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-11/honduras-berta-caceres-mord-voith-hydro-siemens-menschenrechte-verantwortung/seite-5 Einige der  namentlichen Verbindungen zwischen der DESA und den „Eliten“ des Landes hatte der Journalist Felix Molina im Mai 2016 auf facebook veröffentlicht, kurz darauf wurden zwei Attentate auf ihn verübt, sh. https://amerika21.de/2016/05/152267/molina-honduras-anschlag
(5) https://copinh.org/media/documents/2016/10/comunicado-caso-berta-04102016.pdf
http://confidencialhn.com/2016/10/04/ejecutivos-de-desa-amenazaron-a-berta-caceres-en-sus-ultimos-dias-de-vida/
(6) https://www.globalwitness.org/en/campaigns/environmental-activists/honduras-deadliest-country-world-environmental-activism/
(7) Pressemitteilung CEJIL, 24.1.2017, Übersetzung Öku-Büro
(8) https://www.amnesty.org/en/documents/amr37/5587/2017/es/
(9) http://www.sampsoniaway.org/fearless-ink/2016/12/09/reeleccion-de-juan-orlando-hernandez-y-un-nuevo-codigo-penal-en-honduras/ Übersetzung Öku-Büro
(10) Siehe zum Beispiel in: http://www.envio.org.ni/articulo/5287
(11) http://internacional.elpais.com/internacional/2017/02/07/america/1486507036_256528.html, Übersetzung: Öku-Büro

Aktivitäten zu Honduras

“Siemens raus aus Agua Zarca” und “Gerechtigkeit für Berta”

Am 26. Januar 2016 warnten wir bei der Jahreshauptversammlung der Siemens AG in München vor kriminellen Vorgehensweisen der DESA: „Siemens weiß, dass seit Oktober 2015 eine Todesliste lokaler Auftragskiller gegen mehr als 20 Staudammgegner und -gegnerinnen im Umlauf ist, und dass es erneut Drohungen und tätliche Angriffe auf Gegner und Gegnerinnen des Projektes Agua Zarca gab. Im Dezember 2015 wurde ein Menschenrechtsbeobachter aus Spanien vom Sicherheitschef der lokalen Betreiberfirma DESA fotografiert. Als er wenig später alleine war, prüften zwei Bewaffnete das Bild auf ihrem Handy und bedrohten ihn dann mit dem Tod. Siemens hatte ausreichend Zeit und Grund genug, sich ein eigenes Bild über die Praktiken der DESA zu machen.“(A1) Siemens Vorstandvorsitzender Kaeser verteidigte in seiner Antwort Agua Zarca ausdrücklich als legal und notwendig.

Kunstaktion: „Impunity for life?“

Am Weltfrauentag, dem 8. März veranstalteten wir eine abendliche Kunstintervention vor der Siemens-Zentrale am Wittelsbacher Platz in der Münchner Innenstadt. Unter anderem projizierten wir Bertas mitreißende Rede zur Verleihung des Goldman-Preises und demaskierten den Siemens-Slogan “Ingenuity for life” als “Impunity for life”.

Am 18. April veröffentlichten wir eine Pressemitteilung “Gewalt gegen Umwelt- und Menschenrechtsaktivist*innen eskaliert nach dem Mord an Berta Cáceres weiter”. Viele junge Leute kamen abends ins ehemalige Trambahnhäusl an der Rosenheimer Straße, wo wir unter der Überschrift “Der Mord an der Menschenrechtsverteidigerin Berta Cáceres und die Verantwortung von Voith Hydro und Siemens” gemeinsam mit oase e.V. einen Film über Bertas Leben zeigten und Aktionen diskutierten.

Delegation des COPINH in München

Am 3. Mai hatten wir eine Delegation von COPINH aus Honduras zu Gast. José Asunción Martínez vom COPINH-Koordinationsrat und Francisco Sánchez, Präsident des Indigenen Rates der Region Rio Blanco, standen bei einergut besuchten Podiumsdiskussion im EineWeltHaus unter dem Motto “Gerechtigkeit für Berta!” Rede und Antwort.

<>Am 4. Mai folgte eine Kundgebung auf dem Karlsplatz-Stachus gemeinsam mit Oxfam Deutschland und weiteren Organisationen wie Pro Regenwald und GegenStrömung. Süddeutsche Zeitung, Münchner Merkur und Bayerischer Rundfunk berichteten. Im Anschluss zogen wir spontan vor das Siemens-Gebäude am Oskar-von-Miller-Ring. Oxfam hatte keinen Termin für die Übergabe von knapp unter 200.000 Unterschriften “Siemens jetzt aus Agua Zarca aussteigen” bekommen, unsere beiden Gäste aus Honduras diskutierten aber vor der Tür mit Vertretern der Presseabteilung.

Am 15. Juni beteiligten wir uns am Globalen Aktionstag “Gerechtigkeit für Berta”. Anfang Juni hatte der Münchner Stadtrat beschlossen, die Münchner Finkenstraße in Werner-von-Siemens-Strasse umzubenennen. Wir überklebten nun die Schilder und verlangten: Die Finkenstraße soll ab jetzt „Berta-Cáceres-Straße“ heißen!

Unsere Forderungen zum Globalen Aktionstag „Gerechtigkeit für Berta“

Sofortige Einsetzung einer unabhängigen, internationalen Untersuchungskommission, um den Mord an Berta Cáceres vollständig aufzuklären und sowohl die materiellen Täter als auch die Auftraggeber*innen des Verbrechens vor Gericht zur stellen.

Sofortige effektive und mit den Betroffenen abgestimmte Schutzmaßnahmen für die weiterhin massiv bedrohten Aktivist*innen von COPINH; insbesondere auch für diejenigen, die nach ihren Auftritten vor EU-Gremien und bei verschiedenen europäischen Regierungen im April/Mai 2016 erneut von lokalen Auftragskillern bedroht werden.

Unverzüglicher Rückzug von Voith Hydro/Siemens, der niederländischen und finnischen Entwicklungsbanken sowie der zentralamerikanischen BCIE-Bank aus dem Projekt „Agua Zarca“ sowie den sofortigen endgültigen Baustopp und die Rücknahme der Konzession.

Am 3. August schlossen wir uns einer Aktion unserer italienischen Verbündeten von CICA an und gedachten Bertas am - ebenfalls von Kraftwerksplänen bedrohten - Rio Argentina in Ligurien.

Am 2. September veranstalteten wir eine Mahnwache auf dem Wittelsbacher Platz und freuten uns über die erneute Solidarität einiger Mitglieder des Vereins von Belegschaftsaktionären in der Siemens AG. In einer Pressemitteilung informierten wir unter anderem über den Bericht der UN-Sonderberichterstatterin für indigene Völker Victoria Tauli-Corpuz(A2) und den defizitären Stand der Ermittlungen im Mordfall Berta Cáceres.

Situation der LGBT*-Community in Honduras

Seit zwei Jahren arbeitet ein Arbeitskreis im Öku-Büro, unterstützt von unserer hauptamtlichen Referentin für Honduras, kontinuierlich zu Themen der Lesbisch-Schwul(Gay)-Bi-Trans*-Community(A3) in Honduras.

Im Mai 2016 organisierten und begleiteten wir gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung eine Vortrags- und Vernetzungsreise der honduranischen Trans*Aktivistin Frenesys Sahory Reyes.

Frenesys arbeitet seit 2007 mit unseren Partner*innen der Asociación LGBT Arcoíris de Honduras zusammen und ist Mitgründerin der Trans*Frauen-Gruppe Muñecas de Arcoíris. Allein zwischen Juni 2015 und Mai 2016 wurden sechs Mitglieder von Arcoíris ermordet, darunter vier Trans*Frauen. Hinzu kamen versuchte Morde, Überfälle, Kurzzeitentführungen und Folter. Deshalb hatten wir Frenesys eingeladen in München, Berlin, Hamburg und Brüssel über die Kämpfe der Community in Zeiten verschärfter politischer Repression und allgegenwärtiger hate crimes zu berichten.

Süd-Süd-Vergleich mit Argentinien

Sie gab einen Workshop bei der Trans*Tagung München, referierte bei der Podiumsdiskussion “Progressive Gesetze, brutaler Alltag - LGBTI in Argentinien und Honduras” in Berlin. Teils gemeinsam mit ihren Kolleginnen von der Féderación Argentina LGBT (FALGBT) führte sie Gespräche mit Bundestagsabgeordneten, dem Außen- und Familienministerium, der Staatsanwaltschaft Berlin sowie verschiedenen Initiativen und Vereinen wie TriQ, LSVD, Les MigraS und gab Interviews. Veranstaltungen und Pressegespräche in Hamburg und München rundeten das Programm ab.

LGBT*-Advocacy auch in Brüssel

In Brüssel begleiteten wir Frenesys zu einer gemeinsam mit dem dortigen Büro der Heinrich-Böll-Stiftung vorbereiteten lunch debate mit Vertreter*innen der EU-Kommission und des EU-Parlamentes und zu Terminen mit Abgeordneten und Mitarbeiter*innen verschiedener Fraktionen. Schwerpunkt der Gespräche war neben der Situation der LGBT-Community vor allem die Kritik der sozialen Bewegungen in Bezug auf die von der EU unterstützte die Strafrechtsreform in Honduras (siehe Länderbericht).

Queerpolitische Vernetzung

Frenesys entschied sich nach dieser tour de force, die sie nochmals öffentlich exponiert hatte, zunächst nicht nach Honduras zurückzukehren, sondern die Asociación Arcoíris und das Öku-Büro von München aus zu unterstützen. Am 11. Juni kam der Direktor von Arcoíris, unser langjähriger Verbündeter und Freund Donny Reyes, von Terminen beim UN-Menschenrechtsrat in Genf zu einem Kurzbesuch nach München, um sich mit uns auszutauschen und mit Frenesys über die anhaltend hohe Gefährdungslage vor Ort und die Zusammenarbeit aus der Ferne zu beratschlagen.

Anfang Juli begleiteten wir Frenesys zum Queerpolitischen Vernetzungstreffen „Ignoriert & verdammt? Situation queerer Geflüchteter –
hier und dort“ in den Bayerischen Landtag. Zuvor nahm sie gemeinsam mit Keith King aus Uganda und LeTra-Mitarbeiterin Julia Serdarov an einer Pressekonferenz der Abgeordneten Claudia Stamm zum gleichen Thema teil.

Am 6. Juli empfing uns Oberbürgermeister Dieter Reiter und Stadträtin Lydia Dietrich gemeinsam mit einer Delegation der LGBTI*-Community aus Münchens Partnerstadt Kiew.

„Danke München für diesen Moment“

Dann folgte die Parade zum Christopher Street Day (CSD) und Frenesys‘ Rede auf der großen Bühne auf dem Münchner Marienplatz:

“Ich bin sehr glücklich, heute zusammen mit euch hier zu sein. Ich genieße es, hier einen sicheren Raum zu haben, ohne permanente Angst, dass jemand mich auf offener Straße angreift, mich bedroht oder mich mit Worten verletzt. Danke München für diesen Moment der Sicherheit und der Freiheit, mich als die Frau zu fühlen, die ich mir immer erträumt habe. Gerade deshalb möchte ich diesen Moment allen meinen Gefährtinnen, Freundinnen, Kolleginnen auf der ganzen Welt widmen, die heute NICHT mehr bei uns sind, wegen der Trans-, Lesbo, Homo- und Biphobie, die nichts als Schmerz und Verzweiflung in unserer weltweiten Community verursacht.

Heute spreche ich hier, um alle die Mitglieder und Aktivist*innen der LGTB Community in Honduras zu ehren, die brutal ermordet wurden. Aktuelle Beispiele sind die Morde an Angie Ferreira, Paola Barraza, Elkin Amador, Henry Matamoros, Pamela Rodriguez, Alejandra Padilla, Estephania Zúniga und René Martínez - um nur einige zu erwähnen. Die Liste wäre endlos, wollte ich sämtliche der mehr als 230 Mitglieder und Aktivist*innen der Community nennen, die seit dem Putsch 2009 ermordet wurden. Sie haben mit dem Leben dafür bezahlt, dass sie international garantierte Rechte eingefordert haben. Ihr einziger Traum war, ein glückliches Leben zu führen und Respekt für unsere Menschenrechte. (…) Dass ich heute hier mit euch zusammen bin, gibt mir dennoch Kraft. Es bestätigt mich darin, dass wir die Hoffnung nicht aufgeben dürfen.”

Am 7. Juli präsentierten wir gemeinsam mit dem Queerreferat der Studierendenvertretung der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München den Film “En mis tacones – Auf meinen Highheels”. Frenesys berichtete über das alltägliche (Über)Leben von Trans*Frauen in Honduras und nutzte die Gelegenheit zu einer Solidaritätsaktion mit den streikenden honduranischen Studierenden am historischen Ort – im Lichthof der LMU (vgl. Länderbericht zu Honduras).

Der inzwischen achtköpfige Arbeitskreis LGBT*-Honduras des Öku-Büros trifft sich weiterhin einmal monatlich.

Experimentierfeld neoliberaler Utopien

Nach dem Scheitern der sogenannten „Chartercities“ unter eigener Gesetzgebung in Madagaskar ist inzwischen Honduras zum weltweit einzigartigen Experimentierfeld für das ultaneoliberale Modell extraterritorialer Modellstädte geworden. Sie heißen in Honduras nun „Sonderentwicklungszonen“ und werden mit dem Motto „faster growth, less conflict“ beworben. Unser Seminar gemeinsam mit der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) „Honduras: Modellstädte, Extraktivismus, Widerstand“ fragte am 15.Oktober nach Zusammenhängen und Hintergründen, vor allem auch nach der Mitwirkung deutscher „Entwicklungspolitik“ und der Beteiligung transnationaler Konzerne. In einem weiteren Schritt wurden Strategien des kleinbäuerlichen und indigenen Widerstandes und der internationalen Solidarität beleuchtet und kritisch überprüft.

Anklagen gegen Korruption und Amtsmissbrauch

Im November und Dezember begleiteten wir den honduranischen Anwalt und Menschenrechtsverteidiger Martín Fernández, der die Breite Bewegung für Würde und Gerechtigkeit (Movimiento por la Dignidad y la Justicia – MADJ) leitet, bei der Tagung des Runden Tisches Zentralamerika in der Evangelischen Akademie Hofgeismar (siehe Kapitel „Vernetzung“ am Ende dieses Jahresberichtes) und anschließend zu Terminen in Berlin (in Kooperation mit HondurasDelegation-CADEHO).(A4) Martín sprach unter anderem mit Mitgliedern der Deutsch-Mittelamerikanischen Parlamentariergruppe des Bundestages und mit den zuständigen Referats- und Sachgebietsleitern des Auswärtigen Amtes und des BMZ. Themen waren unter anderem die Möglichkeit der (verfassungswidrigen) Wiederwahl des Präsidenten, die Anzeigen des MADJ im Korruptionsfall des Sozialversicherungsinstituts und die Frage ihrer (Nicht)Bearbeitung durch die internationale Anti-Korruptions-Kommission MACCIH). Die Abgeordneten stellten Fragen zum Mordfall Berta Cáceres und zu den Prozessen gegen zwei ehemalige honduranische Vize-Umweltminister und einen Bürgermeister wegen illegaler Genehmigungen, Bestechlichkeit und Amtsmißbrauch im ZUsammenhang mit dem Kraftwerksprojekt Agua Zarca. Martín Fernández betonte die Notwendigkeit einer Gesamtrevision aller Konzessionen und Umweltgutachten für ganz Honduras. Diskutiert wurden ferner menschenrechtliche Sorgfaltspflichten von Unternehmen, die Rolle der deutschen Botschaft beim Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen sowie das Sicherheitsabkommen zwischen El Salvador, Honduras und Guatemala und die Migration nach und aus Zentralamerika.

Delegationsreise nach Honduras

Gemeinsam mit dem deutsch-österreichischen Netzwerk HondurasDelegation und der Berliner Gruppe CADEHO (Cadena de Derechos Humanos – Menschenrechtskette Honduras) organisierten wir zwei Vernetzungstreffen (im Januar und im Juli), mehrere Seminare und die mittlerweile fünfte Delegationsreise nach Honduras. Im Mittelpunkt der Reise vom 21. November bis 8. Dezember 2016 standen die Auswirkungen der globalen neoliberalen Ökonomie auf indigene Gemeinden und soziale Bewegungen.

Ein Auszug aus dem Abschlussbericht: “Wir haben im Zentrum und im Norden des Landes 18 verschiedene Organisationen besucht, (…) um die aktuelle gesellschaftlich-politische Lage sowie die Herausforderungen, denen die einzelnen Organisationen gegenüber stehen, kennenzulernen. (…) Während unserer Reise identifizierten wir zwei Faktoren, von denen der überwiegende Teil der von uns besuchten Organisationen betroffen sind und die zu einer Begrenzung der gesellschaftlichen und politischen Handlungsspielräume führen:

1. Lokale Auswirkungen der globalen neoliberalen Ökonomie durch multinationale Investitionen

Die emblematischsten Fälle, denen die indigenen Gemeinden in der Bucht von Trujillo gegenüberstehen, sind von Investitionen im Bereich Tourismus und Immobilien (hauptsächlich mit kanadischem Kapital) sowie vom Aufbau einer Erdölraffinerie auf dem Territorium der Garífuna und der Einführung von „Zonen der Beschäftigung und ökonomischen Entwicklung“ (ZEDE), besser bekannt als „Modellstädte“ oder „Charter Cities“ betroffen. Die direkte Auswirkung dieser Projekte ist die widerrechtliche Aneignung von Gemeindeland der Garífuna, was auf gewaltsame Vertreibung und das Verschwinden ihrer Gemeinden hinausläuft. Im Department Yoro leiden die Gemeinden der Tolupanes in San Francisco de Locomapa unter der illegalen Ausbeutung ihrer Wälder durch Holzunternehmen sowie unter dem heimlichen Abbau von Antimon-Vorkommen durch Bergbauunternehmen. 17 Indigene wurden aufgrund ihres Widerstandes dagegen ermordet. (…) Die Mehrzahl dieser Taten bleibt straffrei.

2. Systematische Diffamierung und Kriminalisierung von Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen

Vertreter*innen der besuchten Organisationen berichteten von permanenter Einschüchterung und Kriminalisierung aufgrund ihrer Arbeit. In der Ausübung der Verteidigung der Menschenrechte gehen sie ernsthafte Risiken ein, die ihr tägliches Leben beeinflussen. (…) Sie befürchten Einbruch und selektiven Diebstahl in ihren Büros sowie direkte Attentate und Folter. Es wird ein feindliches Klima geschaffen, in dem Angst herrscht, sich öffentlich zu äußern. Verschiedene Medien und Erklärungen von Funktionären der Regierung sind Teil von Diffamierungskampagnen gegen Organisationen und Einzelpersonen. (…)

Während unserer Reise sind wir einer organisierten Zivilgesellschaft begegnet, die den vulnerablen Teilen der Bevölkerung in ihren Kämpfen beisteht und für eine Schaffung einer gerechten, demokratischen, offenen und transparenten Gesellschaft eintritt.”

Der vollständige Abschlussbericht sowie ausführliche Reportagen zu den einzelnen Reisestationen finden sich auf dem blog der HondurasDelegation: http://hondurasdelegation.blogspot.de

Hintergrundanalysen und Artikel, die anlässlich der Reise entstanden, sind in der Februarausgabe der Zeitschrift ila (Nr. 402, 2017) abgedruckt.

 

(A1) http://www.kritischeaktionaere.de/fileadmin/Dokumente/Reden_2016/Rede_Andrea_Lammers_Siemens_HV_2016.pdf
(A2) https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G16/162/03/PDF/G1616203.pdf?OpenElement
(A3) Im Zusammenhang mit Honduras schreiben wir das I für intersex nicht, weil intersexuelle Menschen sich, soweit wir wissen,  dort noch nicht organisiert haben und in der Arbeit der Organisationen, ebenso wie das Konzept von Q=queer,  noch nicht explizit auftauchen. Wir verwenden stattdessen den alle einschließenden *.
(A4) http://hondurasdelegation.blogspot.de/2017/01/wir-leben-in-einer-diktatur.html

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