Guatemala hat rechts gewählt

Von Dirk Bornschein, Guatemala-Stadt

In der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen vom 11. September hat es einen Rechtsruck gegeben, aber auch einen Trend zum rechten Populismus. Das krisengeschüttelte Land wird so kaum transformiert werden können, eher schon ist eine weitere Verstrickung mit der organisierten Kriminalität zu befürchten.


Abstand zu den Irrtümern der eigenen Geschichte zu gewinnen, ist für kein Land leicht. Große Hoffnungen und Visionen werden vielfach von eisernem Widerstand und zaghaften Reformkompromissen verwässert. Am Ende steht dann oftmals ein Rückfall in alte vertraute Rezepte, die man doch ursprünglich zu reformieren suchte. In Guatemala hat sich bei den jüngsten Wahlen ein solcher Kreis geschlossen, aber auch zaghaft ein neuer geöffnet.


Die Ergebnisse der ersten Runde


Die bisherigen Wahlergebnisse sind nämlich auf den ersten Blick alles andere als ermutigend. Mit rund 32 Prozent der abgegeben Stimmen hat sich der Ex General Otto Pérez Molina als Favorit herausgeschält. Nach seinem Wahlslogan will er die ausufernde Kriminalität, die das Land paralysiert und verkrampft, mit „Harter Hand“ bekämpfen.
Auf 100.000 Menschen werden hier jährlich 46 ermordet. Damit ist Guatemala nicht nur eines der Länder der Welt mit der größten Ungleichheit zwischen Arm und Reich, sondern auch eines der gewalttätigsten, mit einer Quote, die 10 Mal höher liegt als jene in den USA. Sogar in den Zeiten des Bürgerkriegs war die Zahl im Schnitt geringer.
Die Reaktion der Bevölkerung macht klar, unter welchem Druck sie leben. In Teilen der Hauptstadt sind ab 20 Uhr kaum noch Menschen auf den Straßen. Man fährt morgens von einem bewachten Parkplatz zum nächsten, nahe der Arbeitsstätte, schließt unterwegs die Tür von innen und achtet an den Ampeln auf mögliche Überfälle. Es gibt sogar Viertel, in denen zeitweise ein abendliches Ausgehverbot verordnet wurde – von den kriminellen Banden selbst.
Statt von 32 Prozent hatten die Umfragen zuvor von 44 bis 49 Prozent gesprochen und damit teils unverhohlen suggeriert, dass ein Sieg im ersten Wahlgang doch besser für das Land wäre. So ganz selbstlos war diese Haltung aber nicht. Über Jahre hatten die Printmedien mit Erfolg versucht, die jetzt abgewählte Mitte-Rechts-Regierung zu schwächen, ihrer Sozialprogramme wegen, aber eben auch aufgrund der Tatsache, dass sich mit der Ehefrau des Präsidenten Alvaro Colom, Sandra Torres, eine ehemalige Guerillera für das Amt des Nachfolgers bewerben wollte. Mindestens zwei der drei wichtigen Zeitungsgruppen, die alle dem Unternehmersektor nahe stehen, hatten klar auf Pérez Molina gesetzt. Ja, man kann sagen, dass Guatemala – obwohl die Massaker im Krieg beinah alle vom Militär verübt worden sind – weitgehend konservativ ist.
Am Ende konnte Sandra Torres wegen eines Verbots des Verfassungsgerichts nicht ins Rennen gehen. An zweiter Stelle landete so mit 20 Prozent Manuel Baldizón. Ihn hatten die die Printmedien ebenfalls geschont, obwohl er die Personifizierung der Angriffsfläche ist. Denn Baldizón verspricht den Menschen und verspricht:  den Angestellten ein zusätzliches (15.) Gehalt jährlich, den Rentnern viel mehr Geld, allen die Teilnahme an der nächsten Fußball-Weltmeisterschaft und vor allem fordert er die Einführung der Todesstrafe. Dabei liegen seine Verbindungen zur organisierten Kriminalität in der Luft. In der Narco-Provinz Petén ist er eine feste Größe und viele Anwohner kolportieren Gerüchte über Betrug und Amtsmissbrauch. Mindestens einer der Fälle wird derzeit noch vor Gericht verhandelt. Dennoch, Baldizón hat als Zielgruppe die Unterprivilegierten fest im Blick.
Die erste Nicht-Konservative Kandidatin landete weit hinten. Rigoberta Menchú steht an der Spitze einer Allianz aus linken Gruppen und der Maya-Partei Winaq. Als Gewinnerin des Friedensnobelpreises (1992) war sie einst Hoffnungsträgerin. Aber ihre Glaubwürdigkeit hat gelitten. Während es der indigenen Mehrheit in Bolivien gelungen ist, mit Evo Morales die Macht zu stellen und Indigene in Ecuador erhebliche Einflussquoten halten, gelangen ihr nur 2,8 Prozent. Dabei liegt der Anteil der Maya an der Bevölkerung bei 40 Prozent. Und auch die Linke alleine hatte zu besseren Zeiten, vor einem Jahrzehnt, immerhin noch knapp 10 Prozent auf sich vereinigen können.


Krieg und die stockende Demokratisierung


Erst 15 Jahre ist es her, da hatte es den Anschein, als ob das kleine Land südlich von Mexiko einen komplett neuen Kurs einschlagen wollte. Obwohl die Armee in einem langen Bürgerkrieg militärisch die Oberhand behalten hatte, trat sie mit den Friedensverträgen in den Hintergrund. Gilt sie doch für die zeitweise Blutorgie mit einer Bilanz von 200.000 Toten als hauptverantwortlich. Eine kleinere Armee und der Aufbau einer zivilen Polizei und effizienten Justiz sollten das Land demokratisieren helfen.
Solche Reformansätze wurden jedoch von Regierungen umgesetzt, deren Mitglieder die Repression der Vergangenheit als nützlich kennengelernt und geschätzt hatten. Kein Wunder also, dass die wenigen Reformen zwar die Logik des alten Guatemala aushebelten, ohne aber dem Neuen zur Geltung zu verhelfen. Konsequenz ist ein gefährliches Vakuum, das den Staat noch immer durchschüttelt.
Von der Öffentlichkeit unbemerkt, haben die zaghaften Reformen trotzdem jüngst die negative Tendenz umkehren können. Unter der aktuellen Generalstaatsanwältin gelang es, zahlreiche Drogenhändler zu verhaften und einige spektakuläre Morde aufzuklären, geradezu ein Wunder in einem Land, in dem die Justiz lange Zeit komplett unterwandert war. Eigentlich sollte bei den Menschen jetzt langsam die Botschaft ankommen, dass gute Ermittlungen tatsächlich zu Verurteilungen führen können. Aber im Bewusstsein der Wähler sind andere Nachrichten dominant. Nur ein – leider tragisches – Beispiel:
Man muss wissen, dass sich viele Häftlinge im Land noch aus dem Gefängnis ihrem Geschäft widmen. Besonders beliebt sind Erpressungsversuche per Handy. Um das endgültig zu unterbinden wurde Anfang des Jahres in einer Art Verzweiflungstat eine Radikalkur verordnet. In weiten Teilen einer Haftanstalt wurde der Strom abschaltet, damit die Insassen nicht mehr telefonieren können. Aber auch darauf wussten die Einsitzenden eine Antwort. Sie bestachen die Wärter, damit die ihre Batterien aufluden.
Auf halbem Reformwege sind die Menschen der Straflosigkeit müde geworden. Worte von Frieden, Demokratie und Menschenrechte verlieren für viele ihren Sinn. Man will Sicherheit jetzt. Aber damit werden leider Ursachen der Gewalt zu ihrer Lösung herangezogen.


Das Militär und die Straflosigkeit


1. November 2009. Der Bürgermeister einer Gemeinde im indigen geprägten Quiché versammelt die Anwohner um sich. Ein Mann steht dabei im Zentrum. Gefesselt und von Schlägen gezeichnet wird ihm vorgeworfen, ein Krimineller zu sei. Die Menge ist aufgepeitscht und dann wird der angebliche Kriminelle gezwungen, Benzin zu trinken – und angezündet. Sein tatsächliche Vergehen: Der so bestialisch gelynchte, ein Polizist, hatte sich mit dem Bürgermeister in einen Streit verwickelt, weil dessen persönliche Schutztruppe, des Polizisten Sohn wegen langer Haare gefangen genommen hatte.
Verbrechen dieser Art sind in Guatemala natürlich nicht mehr üblich, basieren aber auf einer repressiven Tradition, die vom Militär im Kriege geprägt worden war. Auf deren Geheiß übten paramilitärische Einheiten damals soziale Kontrolle mit Gewalt aus. Für das Militär sind sie noch heute Helden des Krieges gegen die Aufständischen Linken. Ohne sie und deren Ordnungsfunktion hätten wir nicht gewonnen, so heißt es.
Natürlich hat General Pérez selbst nichts mit dieser Tat zu tun, aber doch erinnert sie unweigerlich an seine dunklen Seiten. Zwar gilt Pérez unter Offizieren als vergleichsweise moderat, aber in der heißesten Zeit des Krieges, 1979-1983, war er Ausbilder der sogenannten Kaibiles, einer Elitetruppe die für besonders grausame Taten verantwortlich sind, und Offizier in einem Gebiet, das zuvor stark von Massakern betroffen war. Später stieg er zum Chef des militärischen Geheimdienstes auf, eine Einheit die in zahllose individuelle Morde verwickelt war. Mehr als um persönliche Verantwortung geht es aber hier darum, ihn als einen Vertreter eines Systems zu betrachten, das im Lande totalitäre Macht hatte und Polizei und Justiz zu Helfern im Kampf gegen die Guerilla pervertierte, eine Tradition die auch heute noch eine der wesentlichen Ursachen der Schwäche der Sicherheitsorgane ist.
Die Menschen hingegen sehen das Militär nicht als Ursache. Für sie ist die Armee als effizient im Gedächtnis verblieben. Dabei war sie es, die durch ihre verdeckten Strukturen den Grundstein für den Erfolg des organisierten Verbrechens im Lande gelegt hatte. So ist Guatemala heute ein wichtiges Durchgangsland für den Drogenschmuggel. Die Gewinne sind dabei so hoch, dass sie viele Wirtschaftszweige in den Schatten stellen.
Unabhängig von Menschenrechtsverletzungen, wenn die Forschung nach den Chancen der Demokratie fragt, dann wird immer auch nach der Rolle des Militärs im Staate gefragt. Und hier vertritt Pérez die Ansicht, dass die Armee sich selbst beaufsichtigen soll – das Militär also als Staat im Staate. Für Fachleute ist dies ein Geburtsfehler der schwersten Form, oftmals der Anfang vom Ende einer Demokratie.


Kolumbien als Vorbild


Pérez Molina ist aber nicht nur Militär. Er gilt als Bewunderer des kolumbianischen Präsidenten Uribe und ist zum Thema Wirtschaft von zahlreichen neoliberalen Beratern umgeben. Ebenso wie Uribe sieht er im Bergbau und in der Exportorientierung insgesamt eine wichtige Chance, das Wachstum der Wirtschaft anzutreiben. Automatisch wird das aber zu zahlreichen Konflikten mit vielen Gemeinden der Maya führen, die den Bergbau strikt ablehnen. Wie der General diese Konflikte lösen würde, das kann man nur vermuten.
Man muss entsprechen davon ausgehen, dass auch die Produktion von Palmöl, das eine Grundlage für den Biodiesel sein kann, seine Förderung genießen wird. Beide Einnahmequellen sorgen aber auch für Risiken. Die erwarteten Gewinne für den Staat, der die Aufgabe hätte, die Gewinne zu sozialisieren und zur regionalen Entwicklung beizutragen, sind aber lächerlich gering. Denn auf den Wert der geförderten Metalle zum Beispiel wird nur eine Abgabe von einem Prozent verlangt. Unter diesen Bedingungen heißt Bergbau also, wenig neue Arbeitsplätze, massive Vergiftung und Beeinträchtigung der Ernährungssicherheit. Und schwache Staaten wie Guatemala werden die ökologischen Folgen des Abbaus im Anschluss kaum beseitigen können.


Die Finanzfalle


Damit sind wir an einem Punkt angelangt, der die Funktionsunfähigkeit Guatemalas fortlaufend zementiert: Die extrem geringen Einnahmen des Staates. Aus Sicht der ökonomischen Elite ist dies eine Schicksalsfrage. Vor allem bei der aktuellen gemäßigten Regierung wehrte sie sich nicht nur vehement gegen Steuererhöhungen, sondern auch gegen ein effizientes Finanzsystem. Ohne zusätzliche Einnahmen ist in Guatemala aber weder der Kampf gegen den Hunger zu gewinnen (jedes 2. Kind leidet an chronischer Unterernährung), das Erziehungswesen und Gesundheitssystem zu finanzieren oder mehr Sicherheit zu organisieren. Vor allem bleibt der Staat ein Spielball der Eliten – und der Gelder des organisierten Verbrechens. Diese beiden sind es denn auch, aus deren Finanzspritzen sich die meisten Kosten der politischen Wahlkampagne decken.


Internationale Verflechtung als Chance oder Stillstand?


Aus all diesen Gründen haben sich die internationalen Geber in den vergangenen 15 Jahren darauf konzentriert, ein funktionsfähiges politischen System mitzugestalten, in dem die übermächtigen Eliten aus Militär und Wirtschaft an Regeln und Werte gebunden werden. Aber die Enttäuschung über die langsamen Fortschritte fiel zusammen mit einem internationalen Wandel. Entwicklungszusammenarbeit wird künftig nämlich ganz erheblich der Logik von Freihandelsverträgen unterworfen sein, die Transformation wird zum Diskurs. Ein Blick in das sogenannte Assoziierungsabkommen zwischen Europa und Zentralamerika, das kurz vor der Ratifizierung steht, macht eines deutlich: Demokratie und Menschenrechte werden als Ziele immer wieder vorgegeben, bleiben aber schwammig. Konkret werden die neuen Strategien der EZ nur dort, wo es um den Freihandel geht, in der offensichtlichen Annahme, dass dieser Handel die Eliten modernisieren wird. Aber was ist, wenn er sie nur in ihrer Position bestärkt?
Pessimistisch wird so manchem Leser diese Aufzählung erscheinen. Und offensichtlich gibt es auch allen Grund zur Sorge - und doch ist da noch etwas anderes, verstecktes, das dem Panorama eine minimale Wendung gibt: So glauben prominente Experten demokratischer Sicherheitskonzepte zu erkennen, dass der Ex General viele der neuen Wege weiterführen will, also die Polizei eben nicht doch wieder zugunsten der Armee aushebeln wird. Viel entscheidender ist aber eine andere Erkenntnis: Im Unterschied zu den Zeiten des Friedensschlusses müssen die Kontrahenten heute nämlich die Stimmen der Armen – über die Hälfte der Bevölkerung – zu gewinnen wissen. Eine demokratische oder gar soziale und ökologische Transformation haben sie dabei ganz sicher nicht im Sinn, aber die Geschichte bleibt nicht stehen. Die alten Eliten haben die alleinige Kontrolle über das System verloren.

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