Nicaragua

Länderbericht

Neben dem alles dominierenden interozeanischen Kanal waren zwei weitere Themen 2015 von Bedeutung: Zum einen ging es um die Auswirkungen der weltwirtschaftlichen Entwicklung auf Nicaragua mit den Konsequenzen im Goldbergbau und um die Auswirkungen der wirtschaftlichen Turbulenzen in Venezuela, zum anderen waren es die Vorbereitungen auf die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016.

Alte Kathedrale im historischen Zentrum Managuas

 

Der interozeanische Kanal

Im dritten Jahr in Folge war der geplante interozeanische Kanal das dominierende Thema im Land. Befürworter*innen des Projektes folgen der Argumentation der Regierung und sehen in dem Kanal eine einmalige Chance, durch plötzliches schnelles Wirtschaftswachstum der Armut zu entrinnen. Die Gegner*innen hingegen sehen vor allem die enormen Risiken für Mensch und Umwelt. Beide Seiten haben im vergangenen Jahr Fortschritte erzielt.
Zwar konnte mit dem eigentlichen Bau nicht wie angekündigt begonnen werden. Allerdings habe laut Befürworter*innen die Projektentwicklung beträchtliche Fortschritte gemacht. So übergab am 31. Mai das britische Consulting Unternehmen Environmental Resources Management (ERM) der Projektentwicklungsgesellschaft HKND 1 die in Auftrag gegebene Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstudie (EIAS). Nach Veröffentlichung der fast 11.000 Seiten im Internet 2 steht die Studie im Mittelpunkt der Diskussion.

HKND selbst betreibt die Projektentwicklung weiter und hat zwei neue Planungsaufträge an die australische Beratungsfirma für Geologie und Bodenschätze CSA Global sowie an das britische Unternehmen BMT vergeben. Derzeit lässt HKND im gesamten Gelände archäologische Geländeuntersuchungen durchführen. Den Baubeginn plant HKND jetzt für 2016. Mit dem eigentlichen Kanalaushub und den Schleusen soll dann „Ende 2016“ begonnen werden.
Auch die nicaraguanische Regierung hat weltweit Werbung für das Projekt betrieben. Bei den Auslandsbesuchen von Außenminister Samuel Santos war besonders in den reichen Ländern der Kanal stets ein Programmpunkt. Noch aktiver war der Präsidentenberater Paul Oquist. Seine Aufgabe scheint es zu sein, das Projekt in Wirtschaftsforen einzubringen. Sicherlich geht es dabei darum, Investoren zu finden, welche die geschätzten 50 Mrd. US-Dollar Baukosten aufbringen können. Auch, als im April eine deutsche Wirtschaftsdelegation unter Beteiligung von Siemens und VW Nicaragua besuchte, präsentierte Oquist das Kanalprojekt 3 . Ob die nicaraguanische Regierung mit diesen Anstrengungen Erfolg hatte, kann nicht beurteilt werden. Nach wie vor heißt es, dass die potentiellen Investoren anonym bleiben wollten.


Widerstand gegen den Kanal

No al Canal
Demonstration gegen den Nicaragua-Kanal, Foto: Nicaragua Sin Heridas

Der Widerstand gegen den Kanal besteht hauptsächlich aus dem von Vertreibung bedrohten Teil der Bevölkerung sowie aus kritischen NGOs, die sich schwerpunktmäßig mit Umweltproblemen befassen. Zusammen blicken diese auf inzwischen 50 Demonstrationen zurück. 2015 ragten dabei die beiden Kundgebungen am 13. Juni in Juigalpa sowie am 27. Oktober in Managua mit zehntausenden von Teilnehmern heraus. Diese große Zahl kam zustande, obwohl die Regierung versuchte, mit Straßensperren und Gegendemonstrationen die Proteste zu verhindern.
Ein weiterer großer Erfolg gelang den Kanalgegner*innen auf internationaler Ebene. So wurde auf deren Betreiben am 16. März 2015 bei der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (CIDH) der OAS in Washington eine Anhörung zur Auswirkung des Kanalbaus auf die Menschenrechte in Nicaragua durchgeführt4 . Nach der Anhörung brachte die CIDH ihre Besorgnis über die unangemessenen Polizeiaktionen gegen die Kanalopposition, die mangelhafte Einbeziehung der auch indigenen Bevölkerung, sowie über die Unsicherheit bei der zukünftigen Wasserversorgung zum Ausdruck. Von der Regierung wurden weitere Informationen angefordert.


Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstudie (EIAS)

Selbst die von der Regierung in Auftrag gegebene EIAS-Studie kritisiert den bisherigen Projektablauf an zahlreichen Punkten. Ausdrücklich erwähnt werden dabei unter anderem die mangelhafte Einbeziehung der Bevölkerung, die unvermeidlichen Folgen des Projektes für Mensch und Natur, die Zerstörung von Regenwäldern, die physische Teilung Nicaraguas in ungenügend verbundene Bereiche nördlich und südlich des Kanals, die Zerschneidung des mittelamerikanischen biologischen Korridors (Corredor Biológico Mesoamericano) sowie die Umsiedlung von 30.000 Menschen. Auch könnte der Aushub der Fahrrinne sowie mögliche Schiffsunfälle dem Nicaraguasee großen Schaden zufügen.
Obwohl die Autor*innen der Studie zugeben, dass sie die positiven Folgen nur schwer beurteilen können, sehen sie in dem Projekt eine Möglichkeit, die Wirtschaft Nicaraguas wesentlich zu verbessern. Allerdings werden eine Reihe von Maßnahmen genannt, welche auch im Falle einer Entscheidung für den Kanalbau unbedingt beachtet werden müssten. Vor allem müsse der vorgelegte Bericht durch weitere Detailstudien ergänzt werden.
Auf einem Workshop der Zentralamerikanischen Universität UCA in Managua am 19. November, setzten sich 15 internationale und nationale Experten kritisch mit der EIAS Studie auseinander. Dabei wurde bezweifelt, dass die zu erwartenden positiven Auswirkungen die unbestritten negativen Folgen des Projektes überwiegen werden.
So wurde auf die enormen Risiken verwiesen, welche auch in der Studie sehr deutlich zum Ausdruck kommen. Es bestehe die Gefahr, dass Nicaragua nach dem Bau des Kanals schlechter dastehen könnte, „als wenn das Land gar nichts unternommen hätte5 .“


Resümee zum Kanal

Abschließend ist zu sagen, dass trotz der Veröffentlichung der Umwelt- und Sozialverträglichkeitsstudie die Zweifel an dem Projekt nicht ausgeräumt werden konnten. Folglich wird auch der Widerstand gegen die Pläne der Regierung nicht kleiner werden. Solange jedoch nicht bekannt ist, woher die benötigten 50 Mrd. US-Dollar für das Projekt kommen sollen, ist immer noch nicht klar, ob der Kanal jemals verwirklicht werden wird.


Innenpolitik

Innenpolitisch sind Daniel Ortega und die FSLN so stark wie noch nie. Während des ganzen Jahres lag die Zustimmung bei Meinungsumfragen zur Regierungspolitik der FSLN stets über 50 Prozent, zeitweise sogar bei über 60 Prozent. Dabei lagen die Werte des Präsidentenehepaars Daniel Ortega und Rosario Murillo sogar bei über 70 Prozent.
Dem gegenüber kam die in mehrere Parteien zersplitterte Opposition – zusammen – nicht über 10 Prozent hinaus. Auch wenn man den autoritären Regierungsstil Ortegas als Problem für die Opposition anerkennt, muss man sagen, dass diese völlig versagt hat. So konnte man sich in den Vorbereitungen auf die im November 2016 anstehenden Präsidentschaftswahlen bislang nicht auf eine*n gemeinsame*n Kandidat*in einigen. Für die FSLN wird wahrscheinlich wieder Daniel Ortega antreten.


Armutsbekämpfung

Während sich die Opposition um aussichtslose Kandidatenposten für die Wahlen stritt, legte die Regierung den neuesten Armutsbericht vor. Demnach sei laut der Statistikbehörde INIDE 2014 die Armut in Nicaragua stark zurück gegangen6. Bei den befragten Haushalten ist die Armut von 42,5 Prozent im Jahr 2009 auf 29,6 Prozent im Jahr 2014 gesunken, während die extreme Armut von 14,6 Prozent auf 8,3 Prozent sank. Unbestritten ist, dass die sozialen Programme der Regierung Ortega Früchte tragen. Allerdings bezweifeln einige Experten die Stichhaltigkeit der vorgelegten Zahlen7. Darüber hinaus ist unklar, ob die Regierung auch in Zukunft ihre Sozialprogramme in dieser Intensität fortführen kann.
Welche Auswirkungen werden die politischen Veränderungen in Venezuela auf Nicaraguas Wirtschaft haben?
So wurden diese bisher größtenteils über die günstigen Kredite im Zuge des Erdölabkommens PETROCARIBE finanziert, die Venezuela Nicaragua beim Erdölimport gewährt. Die zur Verfügung stehenden Beträge sind damit direkt an den Weltmarktpreis des Erdöls gebunden, welcher seit Sommer 2014 auf ein Drittel gesunken ist. Ähnlich sind die Finanzmittel aus PETROCARIBE gesunken8.
Gleichzeitig ist der Export von Fleisch, Zucker und Kaffee aus Nicaragua auf zwei Drittel zurückgegangen. Dies allein bringt Nicaragua noch nicht in wirtschaftliche Schwierigkeiten, zeigt aber, dass die Zeiten unruhiger werden.


Widerstand im Goldbergbau

Der Goldbergbau war bisher in Nicaragua lange nicht so umstritten wie in den Nachbarländern. Zum Beispiel hat das kanadische Bergbauunternehmen B2Gold bisher problemlos in den beiden Minen La Libertad und El Limón Gold gefördert. Die Geschäfte liefen hervorragend, der Goldpreis war hoch. Also erwarb B2Gold 2007 eine weitere Konzession in Rancho Grande im Departamento Matagalpa. Im Gegensatz zu den beiden anderen Orten, die eine lange Bergbautradition haben, ist Rancho Grande von Landwirtschaft geprägt. Die Bevölkerung, die vom Anbau von Kakao und Früchten lebt, stand dem geplanten Goldtagebau von Anfang an ablehnend gegenüber. Mit starker Unterstützung der katholischen Kirche entwickelte sich ein breiter Widerstand, der in den letzten beiden Jahren ständig gewachsen ist. Unterschriftensammlungen und friedliche Demonstrationen fanden großen Zuspruch, obwohl regionale und nationale Behörden den geplanten Goldabbau unterstützen. Am 3. Oktober 2015 beteiligten sich 15.000 Menschen an einer Demonstration, die durch den Bischof von Matagalpa angeführt wurde.

Rancho Grande
Versammlung in Rancho Grande: Nein zum Bergbau, Foto: Karina Lange


Der Widerstand der Bevölkerung hat dazu geführt, dass die Regierung nur ein paar Tage später verkündete, dass aufgrund der zu erwartenden Beeinträchtigung des Wassers das Projekt nicht durchführbar sei. Allerdings wartet die Bevölkerung bis heute auf eine schriftliche Bestätigung für das Einstellen der Bergbauaktivitäten.
Ganz anders entwickelte sich fast zur gleichen Zeit ein Konflikt in der Mine El Limón. Dort schwelt seit Längerem ein Arbeitsstreit zwischen Belegschaft und B2Gold. Nachdem in den letzten drei Jahren der Goldpreis stetig gefallen war9, hatte das Unternehmen mit drastischen Sparmaßnahmen reagiert. Die Stammbelegschaft sollte von 600 auf 235 reduziert werden. Der Rest wurde dann in ein Subunternehmen ausgelagert und zum halben Lohn wieder eingestellt. Die Situation eskalierte schnell. Es gab Streiks. Das Unternehmen entließ mit Genehmigung des Arbeitsministeriums die Gewerkschaftsführung. Daraufhin boykottierte die Bevölkerung die Produktion in der Mine. Eine Woche später, am 6. Oktober, kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, wobei die zu wenigen und unerfahrenen Polizisten von der Bevölkerung überwältigt und entwaffnet wurden. 23 Polizisten und 8 Bewohner*innen wurden verletzt, ein 18-jähriger Polizist starb. Die Bevölkerung behauptet, es war ein Herzinfarkt. Die Regierung schickte Bereitschaftspolizei und der Ort wurde richtiggehend erobert. Die Anführer*innen wurden gefangen genommen und nach Managua ins Gefängnis gebracht. Ihnen wurde unter anderem organisierte Kriminalität und Mord vorgeworfen. Die meisten Männer flohen in die Berge, die Frauen setzten den Widerstand fort. Erst nach Wochen und nur mit großem Polizeiaufgebot gelang es wieder, in der Mine zu produzieren. Am 19. Dezember dann teilte die Regierungszeitung El1910 überraschend mit, dass die sechs in Managua Inhaftierten aus dem Hausarrest entlassen würden. Deren Verfahren wurden daraufhin eingestellt.


Resümee

Diese bisher nicht dagewesene Repression ist Anlass zu großer Sorge und nicht nur die Opposition befürchtet einen Zusammenhang zu dem in den letzten Monaten verabschiedeten Staatssicherheitsgesetz11. Der Staat will sich damit angeblich gegen neue äußere Gefahren, wie Drogenhandel und organisierte Kriminalität wappnen. Aber bei der Definition der Gefahren gibt es auch einen nebulösen Rest in den sich alles hineininterpretieren lässt12. Es wird ein nationales System der Staatssicherheit geschaffen, dem der Präsident vorsteht und an dem die Streitkräfte, die Polizei und das Innenministerium beteiligt sind. Diese neue Institution hat ein „Exekutivsekretariat“, das vom militärischen Geheimdienst (DID) geführt wird. Da kann es einem schon gruselig werden und man versteht die Besorgnis der Vorsitzenden der Menschenrechtsorganisation CENIDH, Vilma Núñez, wenn sie sagt: „Das Staatssicherheitsgesetz ist im Augenblick die schwerste Bedrohung der Gültigkeit der Menschenrechte in Nicaragua“.
Auch wenn es fast sicher ist, dass die FSLN mit Daniel Ortega die nächsten Wahlen haushoch gewinnen wird, scheint Vilma Núñez  sich Sorgen um die Zukunft zu machen. Wahrscheinlich fürchtet sie, die Unterstützung aus dem Ausland zu verlieren. Wenn der Ölpreis weiter so fällt, wird die Wirtschaftskrise in Venezuela sich verstärken und auch die Hoffnungen, die Nicaragua mit dem Kanal verbindet, sind mehr als ungewiss.

 

1    HKND (Hong Kong Nicaragua Canal Development) Group http://hknd-group.com/
2    Die ersten vier Bände (3.365 Seiten) umfassen das Gutachten, die restlichen neun Bände enthalten Anlagen: Estudio de Impacto Ambiental y Social (EIAS)
3    Lateinamerika Verein, Branchenübergreifende Unternehmerreise nach Nicaragua vom 11. bis 17. April 2015, http://bit.ly/1SBcIlS
4    Construcción del canal transoceánico y su impacto sobre los derechos humanos en Nicaragua http://www.oas.org/es/cidh/multimedia/sesiones/154/default.asp
5    14. CONCLUSIONES Y RECOMENDACIONES DEL EIAS, Seite 14.1-12 http://hknd-group.com/upload/pdf/20150924/es/Volumen%205%20Capitulos%2011-16.pdf
6    Resultados de la „Encuesta Nacional de Hogares Sobre Medición de Nivel de Vida 2014http://bit.ly/20Imy4R
7    z. B. Néstor Avadaño, https://nestoravendano.wordpress.com/2015/10/11/el-salario-multimodal-en-nicaragua-no-reduce-la-pobreza/
8    Informe de Cooperación Oficial Externa http://www.bcn.gob.ni/publicaciones/periodicidad/semestral/cooperacion/ICOE_1.pdf
9    Goldpreisentwicklung – Historisch bis 2016 http://www.gold.de/goldpreisentwicklung.html
10    http://www.el19digital.com/articulos/ver/titulo:36997-otorgan-arresto-domiciliario-a-detenidos-por-sucesos-en-chichigalpa-y-mina-el-limon
11    Ley No 919 Ley de Seguridad Soberana http://www.uaf.gob.ni/index.php/marco-juridico/leyes?download=351:ley-n-919-ley-de-seguridad-soberana-de-nicaragua
12    Ley No 919 Artículo 8 Bedrohungen der Staatssicherheit 13) Jede andere rechtswidrige Handlung oder Tätigkeit, oder Naturereignis, die gegen die volle Entwicklung der Personen, der Familie und der Gemeinschaft verstoßen.

 

Solidaritätsreise nach Nicaragua

Vom 16. August bis 18. September fand  unsere Solidaritätsreise nach Nicaragua statt. Vorbereitung und Durchführung erfolgten in Kooperation mit dem Informationsbüro Nicaragua aus Wuppertal. Gemeinsam mit unserem Projektpartner, dem Movimiento Comunal Nicaragüense (MCN), ging es dieses Jahr darum, in der Gemeinde Molino Sur eine kommunale Radiostation zu errichten.

Gemeinsame Arbeit auf der Baustelle des kommunitären Radios, Foto: Karina Lange

 

Vorbereitung

Die Teilnehmer*innen wurden in drei Seminaren auf die Reise vorbereitet. Inhaltlich zielte die Vorbereitung darauf ab, ein Grundwissen über Geschichte, Politik, Wirtschaft und Kultur des Landes zu vermitteln. Dabei wurden auch Wechselwirkungen und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Nord und Süd thematisiert. Des Weiteren war es auch wichtig, in verschiedenen Übungen Stereotype hinsichtlich Menschen aus anderen Kulturkreisen und eigene Vorurteilsstrukturen kritisch zu hinterfragen, um die Teilnehmer*innen der Solidaritätsreise zu sensibilisieren.


Bauprojekt

Wie gewöhnlich sollte im Zuge der Solidaritätsreise ein Bauvorhaben realisiert werden, das dazu geeignet ist, demokratische Organisationsprozesse zu unterstützen. Für dieses Jahr hatte unser Projektpartner das Movimiento Comunal Nigaragüense (MCN), den Bau einer kommunalen Radiostation in der Gemeinde Molino Sur (Landkreis Sébaco) vorgeschlagen. Diese Installation soll in Zukunft dazu dienen, die Kommunikation zwischen den zum Teil schwer zugänglichen Gemeinden zu verbessern. Zum anderen soll dieses Radio auch ein Gegengewicht zu den in Nicaragua in zunehmendem Maße staatlich kontrollierten offiziellen Medien bilden.
Die Bauarbeiten erfolgten unter der Aufsicht und mit Anweisungen eines Handwerkers aus der Gemeinde selbst. Dies war zum einen notwendig, da niemand der Solireisenden selbst besonders viel Ahnung vom Bauhandwerk hatte. Zum anderen sollte dadurch mit dem Stereotyp gebrochen werden, dass es immer die Europäer sein müssen, welche den Menschen aus dem Süden etwas beibringen.
Für unsere Reisegruppe bedeutete dies zunächst Sand und Kies in Säcke zu schaufeln und zur Baustelle zu tragen, Zement zu mischen und Steine zu tragen.
Mühselig erschien das Ausheben und Nivellieren des Fundamentes für den Vorplatz. So erfolgten sämtliche Arbeiten mit Muskelkraft und ohne den Einsatz von Maschinen. Mit der tatkräftigen Unterstützung der Dorfbewohner*innen gelang es jedoch in den zweieinhalb Wochen unseres Aufenthaltes das Haus fertigzustellen, in welchem die Technik des Radios untergebracht werden soll.


Molino Sur

In Molino Sur leben rund 1200 Menschen. Lebensgrundlage ist die Landwirtschaft. Angebaut werden Mais und Bohnen, überwiegend für den Eigenbedarf. Durch ein Bewässerungssystem ist es möglich, Staudensellerie, Minze und Koriander für den Verkauf anzubauen. Den Kleinbauern und Kleinbäuerinnen gelingt es damit, relativ zuverlässig Einnahmen zu erwirtschaften. Gleichzeitig werden durch diese Form des Anbaus Arbeitsplätze als Erntehelfer, beim Transport oder für Zwischenhändler geschaffen.

Radio
Auf dem Land ist das Radio nach wie vor ein wichtiges Kommunikationsmedium, Foto: Karina Lange


Die Bedeutung der künstlichen Bewässerung wurde uns bei dem Besuch der höher gelegenen Nachbargemeinde Almirante drastisch vor Augen geführt. Denn dort hatten die Bewohner aufgrund der Trockenheit mit massiven Ernteausfällen zu kämpfen. Den Betroffenen bleibt in diesem Fall nur die Migration  in die Stadt oder ins benachbarte Costa Rica.
Molino Sur selbst hatte in den letzten Jahren einen starken Zuzug von Personen erfahren, was dazu geführt hat, dass die Preise für Land in die Höhe stiegen. Zum Teil wird aufgrund der großen Familien das Land für die kommende Generation immer mehr parzelliert. Der Mangel an Land und Arbeitsmöglichkeiten führt auch zu sozialen Verwerfungen. Das Problem des Alkoholismus tritt offen zu Tage. Gleichzeitig war es interessant zu sehen, wie die Kirchen im Ort (Katholische Kirche und Evangelikale Kirchen) versuchen, diese Problematik aufzugreifen und dem Alltag der Menschen eine Struktur zu geben.
Das Movimiento Comunal selbst versteht sich als politisch und konfessionell unabhängig. In den Gemeinden realisiert die Organisation unter anderem Bildungsarbeit im Bereich von Politik und Umwelt, Gesundheitsprojekte, Katastrophenschutz, koordiniert sich mit verschiedenen NGOs und führt kulturelle Veranstaltungen durch.


Leben und Aktivitäten in der Gemeinde

Während des Aufenthalts in der Gemeinde waren die Teilneh­mer*innen jeweils einzeln bei einer Familie des MCN untergebracht. Dadurch sollte ein möglichst intensiver Austausch und gegenseitiges Kennenlernen ermöglicht werden. Dies bedeutete auch, ein Leben in sehr einfachen Verhältnissen ohne den gewohnten europäischen Komfort.
Neben den Arbeiten auf der Baustelle konnten wir Ausflüge in verschiedene Nachbargemeinden unternehmen, um unterschiedliche Realitäten kennenzulernen. Wir führten zwei Workshops für die Gemeinde durch. Auch besuchten wir die lokale Krankenstation und sprachen mit dem dort eingesetzten Personal. Wichtig war aber auch, mit den Verantwortlichen des MCN die allgemeine politische Lage in Nicaragua genauer zu erfassen.


Rundreise durch Nicaragua

Nach Beendigung des Bauprojektes begann der zweite Teil der Solireise. Dabei wurden Vertreter*innen verschiedener NGOs und Institutionen interviewt, um den Teilnehmer*innen, neben den Erfahrungen in der Gemeinde, ein komplexeres Verständnis von der Situation in Nicaragua zu vermitteln. Das dieses Jahr gewählte, aber nicht ausschließlich behandelte Schwerpunktthema war „Gesundheit“.
Im Zuge dessen trafen wir uns mit Vertreter*innen von Frauenorganisationen, besuchten die Nähkooperative „Nueva Vida“, sprachen mit Kritikern des geplanten interozeanischen Kanals, mit Umwelt- und Menschenrechtsgruppen sowie mit Gegner*innen und Befürworter*innen des Minenprojektes in Rancho Grande.


Schwerpunktthema Gesundheit

Bezogen auf unser Schwerpunktthema interessierten uns verschieden Faktoren, welche dem Wohlergehen zu- oder abträglich sein können. Dabei verfestigte sich der Eindruck, dass Nicaragua sehr wohl und ernsthaft daran arbeitet, das öffentliche und kostenlose Gesundheitssystem Schritt für Schritt zu verbessern. Die befragten Frauenorganisationen lobten die vorbildliche Betreuung von Schwangeren und Neugeborenen. Gleichzeitig wurde jedoch das absolute Abtreibungsverbot kritisiert, welches selbst im Falle von Gefahr für Leib und Leben der Frau keine legale Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs vorsieht.
Jedoch können auch andere Faktoren, wie der nicht immer vorhandene Zugang zu sauberem Wasser, schlechte Arbeitsbedingungen in den Fabriken oder Umweltverschmutzung zum Beispiel durch den Bergbau, ebenfalls das Wohlergehen negativ beeinflussen beziehungsweise. krank machen.


Menschenrechte, Kanal, Rancho Grande

Eingebettet ist das Thema Gesundheit in einem politisch schwierigen Umfeld. So beklagt das Menschenrechtszentrum CENIDH im Gespräch mit unserer Brigade den zunehmend autoritären Charakter der Regierung. Partizipationsmöglichkeiten würden immer mehr an die Unterstützung und Mitgliedschaft in der FSLN gekoppelt. Gleichzeitig müssten Staatsangestellte, welche sich kritisch über die Regierung äußern, mit ihrer Entlassung rechnen. Auch komme es bei regierungskritischen Demonstrationen - unter den Augen der Polizei - immer wieder zu Übergriffen durch Schlägertrupps. Frauenorganisationen beklagen, dass gerade sie es sind, die am meisten unter der Repression zu leiden hätten.

Molino Sur
Janett Castillo, Ciriaco Ortíz (beide MCN) und Samuel Weber (Öku-Büro) vor dem kommunitären Radio in Molino Súr, Foto: Karina Lange


Entsprechend dieser Problemlage zeigt sich Mónica López Baltodano der Organisation POPOL-NA  besorgt über das Projekt des Interozeanischen Kanals. So sei das mit der Konzession in Zusammenhang stehende Gesetz 840 ohne Rücksprache mit der Bevölkerung regelrecht durchgedrückt worden. Während durch dieses Gesetz die HKND-Group das Recht zugesprochen bekommt, in einem 10 km breiten Streifen um die geplante Kanalroute sämtliche Projekte nach Gutdünken durchführen zu können, seien rund 119.000 Menschen von Vertreibung bedroht. Gleichzeitig berge dieses Projekt unabsehbare Risiken für die Umwelt. Allerdings beginnen sich die Menschen mehr und mehr gegen den interozeanischen Kanal aufzulehnen (siehe auch: Länderartikel zu Nicaragua).
Die Teilnehmer*innen der Solireise konnten jedoch erfahren, dass der Nicaragua-Kanal nicht das einzige Beispiel ist, bei welchem Unternehmerinteressen über die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung gestellt werden. So verursache laut einer Vertreterin des Centro Humboldt gerade der zunehmenden metallische Bergbau in Nicaragua massive Umweltverschmutzungen. Dabei werden Felder zerstört und Flüsse vergiftet. In Rancho Grande jedoch hat sich gegen den Goldbergbau der Firma B2-Gold eine massive Protestbewegung herausgebildet. Im Gespräch berichten Dorfbewohner, wie die Firma versucht hat, durch falsche Versprechungen, Bestechung und Betrug, den Widerstand der Bevölkerung zu brechen. Aufgrund des Zusammenhalts der Bevölkerung und auch durch Unterstützung der Kirchen sah sich die Regierung inzwischen gezwungen, das Projekt einzustellen.


Ausblick

Abschließend lässt sich feststellen, dass die Solidaritätsreise 2015 erfolgreich war. So wurde zum einen das Bauprojekt mit unserer Partnerorganisation, dem MCM, erfolgreich durchgeführt. Zum Zweiten wurde den Mitreisenden eine einzigartige authentische Erfahrung „auf Augenhöhe“ durch das Zusammenleben mit den Familien in Molino Sur ermöglicht. Zum Dritten ist es gelungen, durch die Erfahrungen und Gespräche in der Gemeinde sowie auf der Interviewreise ein komplexes Bild über die Realitäten Nicaraguas zu erlangen.

Gezeigt wurde dabei, dass die Situation in Nicaragua nicht losgelöst von globalen Problemen gesehen werden kann. Beispielhaft stehen hierfür der Klimawandel, der Goldbergbau aufgrund des „Rohstoffhungers“ der Industrienationen (Nordamerika, Deutschland und Europa) sowie die Arbeitsbedingungen in freien Exportzonen.

Die Teilnehmer*innen haben sich auf drei Nachbereitungsprojekte geeinigt. Zum einen wurde eine Power-Point-Präsentation erarbeitet, um bei verschiedenen Gelegenheiten über Nicaragua und die Reise berichten zu können. Bereits im November wurde bei der Nicaraguakonferenz in Wuppertal (21./22.11.) auf dieser Basis ein Workshop gestaltet. Zum Zweiten wurde eine Fotoausstellung erstellt. Anfang 2016 soll über die Themen der Solireise auch eine Radiosendung produziert werden.

Finanziert wurde das Bauprojekt durch Spenden des Ökumenischen Büros, des Informationsbüros Nicaragua sowie durch Gelder der Stiftung Umverteilen. Wir bedanken uns beim Centrum Mission Eine Welt der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern für die finanzielle Unterstützung der Vor- und Nachbereitung der Reise. Des Weiteren wurde die Reise gefördert durch Mittel des Kirchlichen Entwicklungsdienst durch Brot für die Welt – evangelischer Entwicklungsdienst.

 

Weitere Aktivitäten zu Nicaragua

Der Nicaragua-Kanal - 26.11.2015

Saul Obregon
Saúl Obregón spricht über den Nicaragua-Kanal

Das Ökumenische Büro hatte Saul Obregon von der Naturschutzorganisation Fundación del Río eingeladen. Er lebt in El Castillo am Rio San Juan, also in dem südlichen Teil Nicaraguas, der befürchten muss, durch den Nicaragua-Kanal vom übrigen Land abgeschnitten zu werden. Als Mitglied einer Naturschutzorganisation stand die Besorgnis über die Folgen des Kanalbaus für Mensch und Umwelt im Mittelpunkt seiner Ausführungen. Der Río San Juan wird zwar nicht direkt betroffen sein, aber der Verlauf des Kanals durch den Nicaraguasee hat sicherlich Folgen für den Fluss, der den See mit der Karibik verbindet. Die an den Fluss grenzenden Naturschutzgebiete wie die Reserva Biológica Indio Maiz, sind sehr sensibel und haben neben ihrem Artenreichtum auch noch ihr wirtschaftliches Potential für den Ökotourismus zu verlieren. Darüber hinaus wurde darauf verwiesen, dass laut den Kritikern des Projektes bis zu 119.000 Menschen damit rechnen müssen, umgesiedelt zu werden. Auch das könnte dazu führen, den Druck auf die letzten Reste des Regenwaldes in Nicaragua zu erhöhen. Ein Video-Interview mit dem Referenten Saúl Obregón kann auf der Seite des Ökumenischen Büros bziehungsweise auf YouTube1 angesehen werden.


Nicaraguakonferenz am 21. November in Wuppertal

Gemeinsam mit den Mitfahrenden der Solireise gestaltete das Ökumenische Büro den Workshop: „Gesundheit ist Wohlergehen - Der Zugang zu Wasser ein Menschenrecht“. Nach einem Impulsvortrag wurden gemeinsam mit den Besucher*innen verschiedene Konzepte des Themas Gesundheit diskutiert.

 

1    https://www.youtube.com/watch?v=gXATeELhPhI

 

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